Was es mit dem berühmten Alm-Frieden und der Freiheit hoch oben auf sich hat

Die Alm strahlt Ruhe und Gelassenheit aus. Obwohl jeder, der dort oben gearbeitet hat, weiß, wieviel Schweiß und Mühe es bedeutet, eine Alm am Leben zu halten. Das scheint ein Widerspruch zu sein. Ein Ort, der den arbeitsintensiven Rhythmen unterworfen ist, die die Tiere und die Natur vorgeben, wie kann der ein Symbol für Friede und Freiheit sein?

Aufstehen zur nachtschlafenden Zeit, Kühe in den Stall holen, melken, die Milch eventuell in die Almsennerei bringen, wo der Käser bereits seit Sunden fleißig seinem Handwerk nachgeht, dann erst Frühstücken, dann mitunter kurz ruhen, bevor Zäunen ansteht, „Galtern“, das heißt nach dem Jungvieh und/oder den trockengestellten Kühen schauen, Wege instand setzen, Brunnen kontrollieren usw. usw.: Arbeit gab und gibt es auf Almen genug. Natürlich nicht auf allen Almen gleich viel, gleich intensiv und kein Tag gleicht völlig dem anderen, wenngleich viele Arbeiten Tag für Tag ähnlich ablaufen. Und, auch das ist wichtig, dann gibt es Zeiten, wo die Arbeit und der oder die Alminger ruhen. Zeit für Muse. Regentage können das sein zum Beispiel, wenn der Regen nur nicht zu viel und zu intensiv fällt, dann droht nämlich im Gegenteil zusätzliche, mühevolle Arbeit, wenn Wege weggeschwemmt werden, kleinere Muren abgehen, Tiere sich im vom Regen rutschiger gewordenen, steilen Gelände versteigen und vorsichtig von dort weggelockt werden müssen.

Arbeit also genug und von der Arbeit, die auf bewirtschafteten Almen mit Ausschank oder gar Übernachtungsmöglichkeiten anfällt, war noch gar nicht die Rede. Warum haben aber die Besucher vom Tal, die genau solche Ziele ansteuern, oder auch Wanderungen in Almgebieten ohne Ausschank unternehmen, das Gefühl, dass ausgerechnet dieser arbeitsintensive Ort ihnen den so sehnsüchtig gewünschten Ausgleich zu ihrem stressgeplagten Dasein im Tal, in der Stadt bietet?

Man könnte jetzt sagen, dass es eben die viele Arbeit der Alminger ist, die die Alm erhält als Ruheraum für all jene, die dafür gerade nicht arbeiten müssen, dass also Besuchern, die Alm-Arbeit gar nicht als solche bewusst wird. Das stimmt sicher zum Teil. Aber vermutlich ist noch etwas ganz anderes spürbar für den Städter, dass die Almtiere und ihr „Betreuungspersonal“ ausstrahlen und auf Gäste übertragen trotz aller Arbeitsintensität. Was ist das?

Vermutlich ist es eine Art Freiheit, die ganz anderer Natur ist, als jene (scheinbare) Freiheit im Tal, die sich trotz der Tausendundeins Möglichkeiten, die das Tal bietet, häufig genug als das Gegenteil von befreiend anfühlt und jedenfalls nicht zu Ruhe und Zufriedenheit führt. Der „Overkill“ an Möglichkeiten, die sich bieten heute, führt zu einer Art Dauerschwindelgefühl, der Kopf dreht sich, die Wunschmaschine läuft pausenlos: „Ich muss meine Mails, mein WhatsApp, meine Sozialen Medien checken! Meine Dating-App läuft daneben noch auf Standby. Womöglich verpasse ich etwas…“ Es ist dieses Allen-Möglichkeiten-Hinterherhecheln, dass auf der Alm Pause macht. Weil dort geben Natur und Tiere den Rhythmus vor und die „Freizeitmöglichkeiten“ sind durch die Ortsgebundenheit streng limitiert. Und paradoxerweise stellt sich gerade deshalb ein Gefühl von Freiheit und von tiefer Zufriedenheit nach getaner Arbeit als Belohnung ein. Das teilt sich auch Besuchern mit, es sei denn, diese können ach auf der Alm nicht auf ständige Erreichbarkeit verzichten. Dann kann ihnen immerhin noch ein Funkloch zu Hilfe kommen…