Almauftrieb

Impressionen von der Almauffahrt konnte ich als Almfuchs dort eingefangen, wo ich noch letzten Sommer selbst um diese Zeit den Almsommer angetreten bin. Auf der „Niederkaseralm“ (1160 m) im Kurzen Grund, Gemeindegebiet Kelchsau, im größten geschlossenen Almgebiet Österreichs. Und weil ich schon in der Gegend war, habe ich mich auch noch auf den Nachbaralmen „Topf“ und „Mitteregg“ umgesehen. Gemischte Gefühle und auch das altbekannte Almfieber waren zu spüren beim Niederkaser Ex-Alminger selbst, aber auch bei dem einen oder anderen Almbauern und -Nachbarn vom letzten Jahr, die ich zum heurigen Almauftrieb getroffen und gesprochen habe.

Dorthin bin ich zum Almauftrieb zurückgekehrt, wo am 17. Juli letzten Sommer (2021) sintflutartige Hochwasser schwere Schäden an Almfluren angerichtet haben, Brücken und ganze Straßenabschnitte von der reißenden Kelchsauer-Ache fortgerissen wurden und wie durch ein Wunder weder Tier noch Mensch zu Schaden gekommen sind. Mittlerweile ist im wahrsten Sinne des Wortes Gras über die Flurschäden gewachsen und Straßen und Brücken sind natürlich längst wieder in Stand gesetzt.

„Ja das war ein sauberes Stück Arbeit letztes Jahr und heuer beim Zäunen. Wir mussten ja die Koppeln ganz anders einteilen, weil der Bach so viel ruiniert hat, was jetzt wieder langsam anwächst – da dürfen die Kühe natürlich noch nicht hinein – also kam zu den üblichen Zäunarbeiten noch ganz schön was dazu“, sagt Michael Wurzrainer, vulgo Drittel-Mich, einer der Bauern, die ihre Kühe auf die Niederkaseralm auftreiben. „Aber was die Grassituation anlangt, bin ich heuer schon sehr zufrieden, im Vergleich zum letzten Jahr. Da sind wir ja bei leichtem Schneetreiben rauf und das Gras hast mit der Lupe suchen können. Gewaltig wie das heuer anders aussieht. Da kannst die Freude direkt sehen bei den Kühen über das saftige, junge Grasl.“ Der Drittel Mich besitzt 14 „Gräser“ auf der Gemeinschaftsalm Niederkaser, das heißt er darf 14 Kühe zur Gesamtzahl von 90 Kühen beisteuern, die die Milch liefern für die Schaukäserei mit Ausschank, die ein beliebtes Ausflugsziel ist. „Letztes Jahr haben uns Corona und dann noch das Hochwasser, wo viele Wochen lang die Zufahrt total gesperrt war, die Ausschank-Bilanz komplett verhaut. Ich hoffe schon sehr, dass das heuer besser wird.“

Auf einen guten Almsommer hofft auch der Almnachbar von der Mittereggalm (1040 m), Johann Schipflinger, vulgo Maurer-Hans, im Video-Interview. Der Start lässt sich schon mal sehr gut an. Fast zu schnell wächst ihm das Gras, da komme man mit dem Weiden kaum nach und ein sehr früher Umzug auf Mittel- und Hochleger sei heuer absehbar. Apropos Hochalmen: Nachdem im Bereich des Mittellegers Kuhwildalm (1740 m) zu Füßen des Schafsiedels (2447 m) letztes Jahr ein Wolf mehrere Schafe gerissen hat, was die Besitzer zum vorzeitigen Almabtrieb veranlasst hatte, macht sich der Hans so seine Gedanken, wie er seine Kälber vor dem Großraubtier schützt. Zumal dieses Jahr – seit Jahrhunderten zum ersten Mal – am Schafsiedel keine Schafe „siedeln“ werden. Die Brixentaler Schafbauern haben heuer nämlich beschlossen, wegen dem Wolf (oder den Wölfen?), der offenbar auch in der Region überwintert hat, ihre Schafe auf anderen Almen zu sömmern bzw. schweren Herzens im Talbetrieb zu belassen. Und so fürchtet der Maurer-Hans: „Wenn die Schafe weg sind, sind halt die Kälber dann die nächstleichtere Beute für den Wolf.“ Weshalb er beschlossen hat, sie die Nacht über im Stall vor eventuellen Wolfsangriffen zu schützen.

Der Almauftrieb ist von alters her eine Zeit, wo sich Hoffen und Bangen die Hand geben und gemischte Gefühle bei den Almbauern und den Hirten, Almingern, Sennern spürbar sind. Aber wie jedes Jahr überwiegt bei weitem die Freude und der Optimismus. So auch bei den Kühen! Manche sagen ja, dass Emotionen wie Freude und Glück Tieren nur angedichtet werden. Da sich unsere Tiere nun mal nicht sprachlich dazu äußern, könne davon nicht die Rede sein. Ich bin der Meinung, dass die Freude der Kühe über die Alm zwar nichts ist, was ich beweisen kann, aber gesehen habe ich sie und gespürt jedes Jahr wieder.