Das Steinerne Meer – ein faszinierendes Hochgebirge

Das Meer ohne Wasser ist fruchtbarer Boden für Schafherden, aber auch ein Ort der Besinnung

Das Steinerne Meer ist mit einer Hochfläche von rund 160 km² der größte Gebirgsstock der Berchtesgadener Alpen. Als eines der neun Teilgebirge der Berchtesgadener Alpen gehört das Steinerne Meer teils zu Bayern, teils zu Salzburg. Die höchsten Gipfel erreichen eine Seehöhe von 2600 m.  Die bayerischen Teile des Steinernen Meers gehören zum Nationalpark Berchtesgaden, die österreichischen zum Naturschutzgebiet Kalkhochalpen. Der Gebirgsstock durchwegs aus Dachsteinkalk weist weite Dolinen und an die 800 Höhlen auf. Das Gebiet ist reich an seltenen, teilweise nur hier vorkommenden Pflanzenarten, weshalb die Bauern die Qualität dieser hoch gelegenen Schafweideflächen sehr schätzen.

Almwirtschaft am Steinernen Meer hat eine jahrhundertelange Tradition

Die Weiderechte der Bauern stammen aus der Regulierungserkenntnis von 1867. Demnach dürfen im Landesherrlichen Gebirge (wie man das Steinerne Meer dort nennt) 1700 Schafe aufgetrieben werden. In etwa 1100 Schafweiderechte gehören 68 Bauern in Saalfelden und 600 Schafweiderechte gehören Bauern aus Maria Alm. Auch der Auftrieb ist mit Ende Juni festgelegt und der Abtrieb hat laut Regulierungsurkunde mit 8. September (Maria Geburt) zu erfolgen. Verpflichtend war ein eigenes „March“ also eine eigene Markierung für jeden Hof, heute ersetzen Ohrmarken diese Markierung. Früher war es Vorschrift, dass die Tiere gehütet werden, denn es war streng geregelt, welche Steige und Plätze beweidet und bei Auf- und Abtrieb benützt werden dürfen.

Die Schafhirten, genannt „Schafler“ waren den ganzen Sommer am Berg und immer unterwegs, damit die großen Herden der drei Gebirgsteile, dem Ramseiderbirg (beim Riemannhaus), dem Griesbachbirg (am Funtensee) und dem Krallerbirg (Wildalmgebiet) nicht durcheinander geraten konnten. Der letzte offiziell bestellte Schafhirte war Klaus Herzog im Jahr 1948.

Heute gehen die Bauern selber die Schafe suchen, betreuen und salzen. 2022 weiden auf allen drei Gebirgsteilen zusammen in etwa 600 Schafe. Eine so große Anzahl wie früher aufgetrieben wurde könnten in der heutigen Zeit nicht mehr überleben. Durch die Klimaveränderung und durch den geringeren Auftrieb hat sich auch die Futtergrundlage verschlechtert. Ältere Landwirte schätzen, dass seit 1925  die Hälfte der Rasenfläche verschwunden ist. Durch Wind und Wasser schreitet die Verkarstung weiter fort. Doch die vielen Schafe am Steinernen Meer sind nicht „dumm“. Sie kommen mit der zerklüfteten Steinwüste, den unglaublich scharfkantigen Felsen und dem wechselnden Wetter auch ohne Hirten gut zurecht. Wenn ein unerwarteter Wintereinbruch auftritt, so flüchten sie zur Feldalm und zum Funtensee oder zur Buchauerscharte.

Die auftreibenden Landwirte erzählen, dass die jährlichen Verluste an Schafen sehr gering sind. Einzelne werden von Touristenhunden versprengt oder Fuchs und Adler holen sich frischgeborene Lämmer, wenn sie nicht von der Mutter verteidigt werden. Sehenswert ist der Schafabtrieb der Saalfeldner Bauern aus dem Ortsteil Ramseiden. Sie treiben die Tiere über den Riemannsteig, einem sehr schmalen, teilweise sehr steilen Felsensteig. Die Schafe bewältigen ihn üblicherweise sehr gut und in einem rasanten Tempo. Oftmals gibt es jedoch Probleme mit Wanderer, die den Weg blockieren, wobei die Schafherde aufgrund ihrer hell klingenden Glöckchen beim Abtrieb schon von Weitem zu hören ist.

Das Interesse an einem Schafauftrieb im Steinernen Meer ist in den letzten Jahren wieder ein wenig gestiegen. Im September ziehen sie nun wieder gut genährt von den Hochflächen herab. Mensch und Tier genießen die letzten warmen Tage, bevor der lange Winter ins Land zieht.

Auch die älteste Hochgebirgswallfahrt Europas führt über das Steinerne Meer

1635 soll diese Wallfahrt das erste Mal stattgefunden haben. Einige Salzburger sind zum Dank für die überstandene Pest im Namen des Herrn von Maria Alm über das Hochgebirge bis St. Bartholomä gepilgert. Politische Wirren und die Krise der Zwischenkriegszeit ließen die Wallfahrt ab 1920 jedoch in Vergessenheit geraten.

Die Musikkapelle Maria Alm hat diese Wallfahrt 1951 wiederbelebt und alljährlich tragen  die Musiker ihre Instrumente über das Gebirge, um die Wallfahrt musikalisch zu verschönern.

Jahr für Jahr machen sich – je nach Witterung – an die 2000 Menschen auf den steinigen 32 km langen Weg und bewältigen dabei 1400 Höhenmeter. Bei Schlechtwetter ist der Weg oft gefährlich rutschig oder sogar mit Schnee bedeckt. Die Wallfahrt findet am Samstag nach Bartholomä (24. August) statt. Der Marsch vom Ausgangspunkt in Maria Alm bis nach St. Bartholomä am Königssee dauert rund 10 Stunden. Natürlich stehen in dessen Zentrum noch heute die Besinnlichkeit und das einzigartige Naturerlebnis. Die Motivation zur Teilnahme reicht aber von sehr fromm über gesellig bis sehr sportlich. Die gesamte Wallfahrt wird von sagenhaften Ausblicken, stimmungsvoller Musik sowie einer Bergmesse gekrönt.

Bereits um 4 Uhr früh beginnt in Maria Alm der Weg, um gegen Nachmittag am bayerischen Königssee einzutreffen. Die erste Station ist das Riemannhaus. Dort findet eine Bergmesse statt. Durch die bizarren Felsgebilde des Steinernen Meers bewegt sich der lange Pilgerzug der „Bartholomä-Geher“ wie eine Schlange, ab und zu gibt es Staus. An der Landesgrenze bittet der Maria Almer Bürgermeister die frühere Grenzpolizei nach altem Brauch um Einlass ins „boarische Land“. Am Kärlingerhaus am Funtensee wird die nächste Rast gemacht und die Almer Musikkapelle spielt auf. Dann geht es über die mehr als 30 Kehren der legendären Saugasse hinunter zur Halbinsel Hirschau im Königssee. Weisenbläser mitten in der Landschaft lassen uns die Länge des Wegs vergessen und schenken mit ihren warmen Klängen tiefen Frieden. Bei der Wallfahrtskirche St. Bartholomä trifft man sich dann zum Schlussgottesdienst. Bei sonnig-heißem Wetter geht so mancher nach den überstandenen Strapazen im Königssee baden. Und jeder Teilnehmer ist, von dem, was er auf dieser Wanderung erfahren hat – Gastfreundschaft und Offenheit, Gemeinschaftsgefühl und innere Ruhe –  noch Wochen später tief beeindruckt.

Fotocredit: Tourismusverband Maria Alm – www.hochkoenig.at