Lebendige Tradition

Die Wurzeln der Almwirtschaft reichen weit zurück.

Hoch im Gebirge, oft jenseits der Baumgrenze, herrschen raue Bedingungen. Das extreme Klima und die kurzen, aber intensiven Sommer machen die Bergwiesen zu einem einzigartigen Lebensraum mit einzigartiger Vegetation. Das Wissen um die Almmatten und ihre ganz besonderen Qualitäten ist jedoch alles andere als neu: Schon vor Jahrtausenden haben unsere Ahnen sie nicht nur zu schätzen, sondern auch zu nutzen gelernt.

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Als unsere Vorfahren nach dem Ende der letzten Eiszeit schrittweise begannen, den Alpenraum zu besiedeln, fanden sie Landschaften vor, die sich drastisch von denen unterschieden, wie wir sie heute kennen: Wilde Flussläufe, Auen, Sümpfe und dichte Wälder prägten die Täler und boten den Jägern und Sammlern reichhaltige Jagdgründe. Doch als die Menschen begannen, sesshaft zu werden und später mit dem Beginn der Bronzezeit auch die Bevölkerung und Siedlungen immer mehr wuchsen, wurden Siedlungs-, Ackerbau- und Weidefläche zu einem begehrten Gut.

Aufbruch auf die Alm

Mussten bronzezeitliche Viehbauern in den Tallagen Flächen erst roden und entwässern fanden sie auf den Berghängen im Gebirge genau das, was brauchten: satte, nährstoffreiche, baumfreie Almmatten, auf denen ihre Herden den ganzen Sommer weiden konnten. So wurden die Almen zu einer wichtigen Lebensgrundlage, die nicht nur die Versorgung im Sommer garantierten, sondern auch dabei halfen, Vorräte für die Winter in Form von Fleisch- und Milchprodukten anzulegen. Dabei lassen sich Almen im Alpenraum schon für 1.700 v. Chr. belegen. In Tirol finden sich die ersten Spuren ein wenig später. Ungefähr im 5. Jahrhundert v. Chr. betrieben hier die Bauern nachweisbare Almwirtschaft.

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Quer durch das Mittlealter

Almen waren bald wichtiger Pfeiler der Gesellschaft und lieferten die Voraussetzungen für das Bevölkerungswachstum, das mit der zunehmenden Bergbauindustrie mit sich brachte. So erlebte die Almwirtschaft im Mittelalter noch einmal einen Aufschwung. Und ab dem 7. Jahrhundert n. Chr. finden sich auch urkundliche Erwähnungen der Almen in Tirol. Die Viehwirtschaft im Gebirge entlastete die Weiden in den Tälern, erlaubte es, die dortige Fläche für den Ackerbau zu nutzen und war Basis des Lebens und des Wirtschaftens. Von dieser Bedeutsamkeit zeugen hierzulande bis heute noch viele Spuren – von kulinarischen Spezialitäten, die auf Alm-Erzeugnissen beruhen, über Sagen und Legenden, die sich rund um die Almen und das Leben dort ranken bis hin zu Brauchtum und Tradition, die bis heute gepflegt werden.

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Abkehr von der Alm

Erst die Industrialisierung und alle ihre Folgen waren es, die zur Bedrohung für die Almen im Alpenraum wurde. Der radikal steigende Bedarf an Arbeitskraft zog die Menschen vom Land in die Städte. Und die Ertragssteigerung, die die Mechanisierung in der regulären Landwirtschaft ermöglichte, ließ die Almwirtschaft zusehends unrentabel erscheinen und wurde zur Bedrohung für die Bergbauern und ihrer über mehrere tausend Jahren gewachsenen Kultur. So viele Almen wurden aufgegeben, dass der Staat, der 1887 feststellte: „Die Almweide ist ein wichtiges Fundament des Nationalvermögens und Volkswohlstandes. Es sind daher unverzüglich Bestimmungen über Schutz, Pflege und Förderung der Almwirtschaft zu erlassen.“

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Wiederentdeckung

Die ergriffenen Maßnahmen halfen – zumindest mittelfristig. Und auch in den beiden Weltkriegen gewannen Almen wieder Bedeutung als Lebensmittellieferanten. Aber bereits in den 1960ern und 70ern erfolgte ein weiterer Einbruch: Der gesellschaftliche Wandel machte es zusehends schwerer, Landwirte zu finden, die gewillt waren, die Bergweiden zu bewirtschaften. Doch diese zweite Welle des „Almensterbens“ dauerte nicht lange. Schon Mitte der 1980ern machte sich neues Bewusstsein um die vielschichtige Bedeutung der Almtradition breit: Regionalität begann ebenso in den Fokus der Konsumenten zu rücken, wie das Tierwohl. Zugleich wurden der ökologische Rang und der Schutz vor Muren und Lawinen den bewirtschaftete Almen bieten, neu erkannt. Und nicht zuletzt ihr Erholungswert, nicht nur für Einheimische, sondern auch den aufblühenden Tourismus sorgte dafür, dass die Almwirtschaft einen bis heute andauernden Aufschwung erlebte und viele bereits aufgegebene Almen wieder reaktiviert wurden. Gestützt durch Förderungen und den Fremdenverkehr werden in Tirol heute wieder rund 2.100 Almen bewirtschaftet. Sie stellen mittlerweile etwa zwei Drittel der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche Tirols und tragen nachhaltig nicht nur zum Landschaftsbild des Landes, sondern auch zur Fortführung jahrtausendealter Tradition bei.