Wenn zwei Schafe in der Raunacht Tacheles über den Wolf reden

In den Rauhnächten kann man die Sprache der Tiere verstehen, besagt ein alter Volksglaube. Unser Almfuchs hat das überprüft und sich am 24. 12., der ersten Rauhnacht, in einen Stall geschlichen.

Am Weihnachtsabend schleiche ich mich in den Schafstall bei meinem Nachbarn. Je näher ich komme, desto mehr verwandelt sich das altvertraute Blöken der Schafe in verständliche Worte. Es stimmt also, was sie sagen: In den Rauhnächten haben wir Zugang zur „Anderswelt“, wir können Tiere verstehen. Ich halte den Atem an und lausche mit zunehmender Faszination dem Zwiegespräch zweier Schafe.

Schaf Leni: Liebe Heidi, warum bist Du heute so traurig und still. Es ist doch die heilige Zeit, die besondere Zeit von Frieden, Weihrauch und Sternenlicht.

Schaf Heidi: Ich weiß, liebe Leni. Aber spürst Du es nicht. Es liegt Hoffnungslosigkeit in der Luft. Hast Du heute den Bauern weinen gehört? Er hat zur Bäuerin gesagt, dass er nicht mehr ein und aus weiß. Er ist verzweifelt, weil er uns nicht mehr schützen kann. Er hat geschluchzt: „Wölfe sind scheu, haben sie gesagt, ein Zaun und die Nähe von Menschen genügt und sie schleichen sich, haben sie gesagt. Angeboren sei das, weil sie den Menschen fürchten, haben sie gesagt. Herdenschutz funktioniert, haben sie gesagt. Wölfe jagen dann nur noch Wild und davon gibt es eh zu viel, haben sie gesagt. Und jetzt: Alles habe wir gemacht, Zäune, Nachtpferche, die Hirtin Anna und trotzdem kamen die Wölfe in unsere Herde und haben getötet. Ich fühle mich am Ende.“

Schaf Leni: Bitte Heidi, erinnere mich nicht an diese Unglücksnacht. Seither sitzt mir die Angst im Nacken. Wie schrecklich für uns alle und auch für unsere Bauersleute und die Hirten auf der Alm, wo es die noch gibt. Gibt eh immer weniger.

Schaf Heidi: Es ist so traurig. In meiner alten Schafsseele spüre ich, dass wir immer ganz wichtige Tiere für die Menschen waren. Aber jetzt scheint es anders zu werden. Hast Du von den Tierschützern gehört? Sie sollen dort leben, wo es nur Häuser gibt, und allem Anschein nach haben sie ein Herz für Wildtiere, wie die Wölfe. Die sehen uns und unser Leiden nicht. Stattdessen sind sie der Meinung, dass man uns vor den Wölfen schützen könne. Das hat unsere Hirtin ja auch versucht, halt vergeblich…

Schaf Leni: Ja, zum Blöken ist das! Aber sie werden schon sehen, wo sie hinkommen, wenn wir dort oben im Sommer nicht mehr den Naturrasenmäher spielen und die Blumensamen nicht mehr auf der ganzen Alm verteilen! Dann wachsen die Almen zu: Gestrüpp, Dornen und Bäume statt Arnika, Orchideen, Enzian. Käfer und Schmetterlinge verschwinden. Kein Braunkehlchen mehr, kein Wiedehopf mehr…

Schaf Heidi: …und die Arbeit, die wir zusammen mit unseren Hirten und Bauern seit Jahrhunderten gemacht haben, alles beim Teufel. Hast Du gehört was unsere Neue, die Luise, letztens geblökt hat. Dort wo sie geboren wurde, in Frankreich, haben die Wölfe in einigen Regionen das Sagen. Obwohl ganz viele Hirten und Zäune und dann noch so große Hunde für den Herdenschutz eingesetzt werden… hat alles nichts geholfen. Die Wölfe sind schlauer und richten gewaltigen Schaden an. Und die Almhirten geben sich geschlagen. Luise hat gemeint, dass sie sehr froh sei, nun bei uns zu sein und hoffentlich keine Wölfe mehr sehen wird.

Schaf Leni: Oje, die Arme Luise, da wird sie enttäuscht werden! Der Bauer hat zur Bäuerin gesagt, die Wölfe werden mehr. So sehr ich die Freiheit auf der Alm liebe, der Gedanke an die vielen Wölfe lässt mir erstarren. Ich will nie wieder so ein Wolfsmassaker erleben müssen.

Schaf Heidi: Liebe Leni, auch wenn mir heute sehr schwer ums Herz ist, aber du weißt, dass ich auch eine Optimistin bin. Ich glaube an das, worauf die Menschen so stolz sind. Sie nennen es Vernunft. Es wird sich zeigen, dass wir Schafe und Kühe, also wir Weidetiere, alle zusammen mit unseren Besitzern und Hirten unverzichtbar sind für die Almen. Wenn erstmal einige von den Almen aufgelassen werden, die die Menschen in der Stadt so gerne besuchen zu jeder Jahreszeit, dann wird es ihnen wie Schuppen von den Augen fallen, was sie da verlieren. Ich glaube fest daran, dass wir Weidetiere dann wieder geschützt werden, so wie wir es verdienen und dem Wolf seine notwendigen Grenzen aufgezeigt werden.

Schaf Leni: Dein Wort in Gottes Ohr, liebe Heidi. Dessen Sohn hat ja heute angeblich Geburtstag. Weihnachten nennen das die Menschen. Und zu Weihnachten beschenken sie sich gegenseitig. Wäre doch wunderbar, wenn sie uns und unseres Gleichen wieder den Almfrieden schenken würden? Ich glaub ja auch, dass letztlich sogar die Wölfe davon profitieren würden.

Schaf Heidi: Den Gedanken musst du mir jetzt aber erklären…

Schaf Leni: Ist doch ganz einfach. Noch nie in der Geschichte von Mensch und Wolf, konnten Wölfe alles machen, was sie wollten. Aber heute ist das so und die Wölfe lernen, dass ihnen nix passiert, auch wenn sie ganz nah an die Behausungen der Menschen herankommen. Jetzt vermehren sich die Wölfe und Vorfälle nehmen zu. Der sicherste Weg für eine Zukunft des Wolfes UND der Alm mit uns Schafen führt über getrennte Zonen. Ich glaub das richtige Wort ist Wolfsmanagement. Dann haben alle in Frieden Platz auf dieser Erde. Und genau das wünsche ich mir zu Weihnachten. Siehst Du den Stern der Hoffnung da oben?

Über die Rauhnächte und besondere Bräuche zwischen den Feiertagen
Die Rauhnächte im Jahreskreis
Räuchern mit Almkräutern