Sagen aus Reutte

Der Schlangenbanner – Almajurtal

Auf einer Alm im Almajurtal rastete einmal ein kundiger Mann, eine Art Zauberer. Er kam mit dem Almbesitzer ins Gespräch, der ihn warnte und ihm sein Leid klagte: „Passt gut auf, wenn ihr nachher weitergeht! Seit Jahren kann man hier oben keinen freien Schritt mehr tun. Die giftigen Beisswürmer nehmen langsam so überhand, dass wir uns nicht mehr zu helfen wissen. Die Nattern sind eine ständige Gefahr für Mensch und Vieh.“

„Ich fürcht mich nicht vor den Schlangen“, lachte der Zauberer, „und wenn ihr wollt, kann ich die Nattern sogar bannen und von euren Almen vertreiben!“

„Was? Das wär ja eine Gottesgnad!“, rief der Almbesitzer freudig überrascht. „Wenn dir das wirklich gelingt, kannst du mit einer reichen Belohnung rechnen! Ich sag gleich den anderen Bauern und Almleuten Bescheid!“
Natürlich waren alle nur allzu froh über die Aussicht, endlich von der Schlangenplage befreit zu werden. Willig gingen sie dem Schlangenbanner zur Hand. Der Zauberer ließ als Erstes eine Menge Holz bringen und errichtete auf der größten Almwiese einen riesigen Feuerkreis. Dann stellte er sich mitten hinein, zündete den Kreis an und blätterte in einem dicken Buch.

Als das Feuer richtig brannte, rief der Zauberer den neugierigen Zuschauern zu: „Bringt euch jetzt alle in Sicherheit! Und passt besonders gut auf, wenn die Natternkönigin kommt. Sie ist schneeweiß und trägt ein Krönlein auf dem Kopf. Diese Königin muss ich erwischen und verbrennen, damit die Alpe frei von Schlangen wird.“ Die Almleute zogen sich auf die umliegenden Felsen zurück und beobachteten neugierig, was weiter geschah.

Der Natternbanner las nun laut aus seinem Buch vor und die Leute sahen mit Grausen, wie aus allen Winkeln, Höhlen und Spalten unzählige Schlangen schlüpften. Große, kleine, dicke, dünne, dunkle und helle Nattern strebten geradewegs dem lodernden Feuer zu und krochen ohne zu zögern hinein.

Bald war die ganze Luft mit giftig beißenden Rauchschwaden erfüllt und der süßliche Gestank nach verbranntem Fleisch war kaum zu ertragen. Plötzlich ertönte ein schrilles Pfeifen. Aufgeschreckt hob der immer noch vorlesende Zauberer den Kopf und spähte angespannt durch die Schwaden. Eine besonders große, weiß gefärbte Natter schlängelte sich heran. „Da ist die gekrönte Natternkönigin, rief eine alte Sennerin, die das Tier sofort erkannte.

Doch da hatte die Königin den lodernden Feuerkreis schon erreicht und übersprang ihn mit einem gewaltigen Satz. Wie ein Pfeil durchbohrte der weiße Natternkopf die Brust des Schlangenbanners, sodass beide zusammen in die sengenden Flammen sanken und darin umkamen. Seither ist die große Natternplage im Almajurtal gebannt und nur noch wenige Beißwürmer lassen sich sehen.

Quelle: Tiroler Sagen, (Weninger 2018: 89ff.)

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