Erkenntnisse aus den Tiroler Herdenschutzprojekten: Hirten-Romantik ade! (1/3)

… Unser Almfuchs hat die vorliegenden Ergebnisse der Tiroler Herdenschutzprojekte auf Herz und Nieren geprüft und kommt zu hochinteressanten, sogar brisanten Schlussfolgerungen. Gut so, sagt er sich. Dann wird in dieser so hochemotional geführten Debatte rund um das Thema Wolf und Herdenschutz nicht mehr nur aus dem Bauch heraus argumentiert, sondern auf Basis von Daten und Fakten. In einer ersten Analyse hat er sich angeschaut, was die Projekte den Hirten und Hirtinnen abverlangt haben. Sind die doch das zentrale Element jeden Herdenschutzes.

Die Rede von einer „Renaissance des Hirtenberufes“ aufgrund des Wolfes ist Wunschdenken
Um es sofort auf den Punkt zu bringen: Zum Hirten, zur Hirtin musst du geboren sein, das war und ist meine feste Überzeugung. Schön klingende Reden von einer angeblichen „Renaissance des Hirtenberufes“, die uns ausgerechnet die Rückkehr des Wolfes bescheren wird, halte ich für reines Wunschdenken oder ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver. Dass plötzlich viele neue geeignete Hirten und Hirtinnen wie Schwammerl aus dem Waldboden schießen werden, kann nur glauben, wer wenig bis gar keine Ahnung hat. Dazu müsste dieser Waldboden erst einmal bereitet werden. Zum Beispiel durch gezielte Aufwertung des Berufes, wie eine fundierte Ausbildung und angemessen Entlohnung. Beides sehe ich nicht im Ansatz gegeben. Wobei ich nichts gegen eine anständige Ausbildung für Hirten und Hirtinnen gesagt haben will, wie sie Deutschland beispielsweise zu bieten hat. Auch das LFI bietet hier jetzt schon einige sehr nützliche Module.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Das Anforderungsprofil für das Behirten auf Schafalmen…
… listet der Bericht recht trocken auf:

„Neben der Arbeitslast, welche die Hirt:innen tragen, brauchen sie auch eine gute Ortskenntnis und Beobachtungsgabe, sowie ein gutes Gespür für die Schafe und ihr Verhalten. Sie müssen die Zugrouten, Weidebewegungen und Eigenarten der einzelnen Schafe und Schafgruppen erfassen, die Vollständigkeit der Tiere abschätzen und Vertrauen in die vorgenommene Sektoreneinteilung haben.“

Ich darf ergänzen, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit:

  • Körperliche Fitness im Hochleistungsbereich
  • Absolute Verlässlichkeit
  • Allwettertauglichkeit
  • Sehr hohe psychische Belastbarkeit in Stresssituationen
  • Tiermedizinische Grundkenntnisse und die Fähigkeit zu deren praktischer Anwendung
  • Hohe Anspruchslosigkeit in Hinblick auf Unterkunft und Verpflegung
  • „Allein-Sein-Können“ usw., usf.

Nur zwei Kennziffern zur Arbeitsbelastung aus dem Projektbericht, die ich glaube gar nicht weiter kommentieren zu müssen: Alois Marth, der Haupthirt auf der Projektalm Lader Heuberg, den ich im Sommer 2022 oben auf 2800 m und 2023 beim Schafschied in Pfunds interviewt habe, hat seine Arbeitszeiten minutiös dokumentiert und bei all seinen Arbeitsgängen einen GPS -Tracker im Rucksack mitgetragen: Ergebnis laut Projektbericht:

„Mit täglich im Durchschnitt 11,0 Stunden pro Tag und Person für verschiedene Arbeiten am Schaf bzw. für die Schafe haben die beiden Hirt:innen einen langen Arbeitstag.“ Sowie: „Die GPS-Bewegungsdaten zeigen, dass der Hirte während seiner Arbeit gemittelt über die gesamte Saison pro Tag eine Distanz von 7,1 Kilometer und 1.289 Höhenmeter zurückgelegt hat.“

Quelle: Herdenschutz-Projekt Lader Heuberg-Alm 2023

Zahlen dienen zur Argumentation

  • 11 Stunden tägliche Arbeitszeit über mehr als drei Monate
  • Arbeitsbeginn um 5 Uhr und Feierabend nach 21 Uhr
  • 7 Tage die Woche
  • 7,1 km und fast 1.300 Hm im hochalpinen Gelände bei jedem Sauwetter

Wenn dich das nicht abschreckt und du zusätzlich damit leben kannst, dass dir trotz deines 100-prozentigen Einsatzes Schafe verloren gehen werden, abstürzen, an Krankheiten eingehen, sich verletzen usw., dann hast du vielleicht das Zeug zum Hirten, zur Hirtin.

Was ich hier bisher nicht in Rechnung bringe, ist die latente bis manifeste Gefahr, die von Großraubtieren im Grund jederzeit ausgehen kann. Gäbe es diese Gefahr nicht, würden wir in Tirol und Österreich derlei Herdenschutzprojekte gar nicht erst starten.

Hirten-Romantik zerbricht ganz schnell an der knallharten Realität
Ich weiß, dass es viele gibt, die diese Projekte als teuren Unsinn ablehnen. Ich möchte mir darüber kein abschließendes Urteil anmaßen. Was sie allemal zeigen und mit Zahlen und Daten unterlegen, sind die enormen Anforderungen, die der Hirtenberuf stellt. Damit liefern sie zumindest Argumente all jenen gegenüber, die die Wolfsproblematik leichthin abtun, mit dem Verweis auf „mehr Hirten“.

Hirten und Hirtinnen sind aus einem ganz speziellen Holz geschnitzt. Jede Romantik, die sich in den Köpfen so mancher um den Hirtenberuf rankt, zerbricht ganz schnell an der knallharten Realität. Wenige wären überhaupt nur für den Beruf geeignet, egal, wie sehr „mehr von ihnen“ dort oben gebraucht würden. Das ist aus meiner Sicht ein Fazit aus den Projektberichten, das mit harten Zahlen untermauert werden kann.

Weitere Beiträge zum Thema Schafe, Behirtung und Wolf gibt’s hier:

Noch mehr Videos von der Alm

Augen- und Gaumenschmaus finden sich auf der Watschiger Alm | Kärnten

Augen- und Gaumenschmaus finden sich auf der Watschiger Alm | Kärnten

Etwas über 1600 Meter Seehöhe mitten im Skigebiet Nassfeld in den Karnischen Alpen gelegen, ist die Watschiger Alm zu jeder Jahreszeit ein lohnendes Ziel. Zwei ganz besondere Attraktionen hat die […]

3. Mai 2024
Weiterlesen
Erkenntnisse aus den Tiroler Herdenschutzprojekten: Kosten killen Idealismus der Schafalpung (Teil 3/3)

Erkenntnisse aus den Tiroler Herdenschutzprojekten: Kosten killen Idealismus der Schafalpung (Teil 3/3)

In einem ersten Beitrag zu den Tiroler Herdenschutzprojekten war ich nach Auswertung der Anforderungen an das Hirtenleben zum Schluss gekommen, dass es mit der von bestimmten Kreisen herbeiphantasierten „Renaissance des […]

2. Mai 2024
Weiterlesen
Erkenntnisse aus den Tiroler Herdenschutzprojekten: Die Frage nach Schutz und Nutz (Teil 2/3)

Erkenntnisse aus den Tiroler Herdenschutzprojekten: Die Frage nach Schutz und Nutz (Teil 2/3)

Was die Hirten und Hirtinnen auf den Projektalmen geradezu Heldenhaftes leisten, darüber habe ich hier schon berichtet. Heute schaue ich mir an, wie sich die Herdenschutzmaßnahmen auf die Leistungsbereitschaft der […]

1. Mai 2024
Weiterlesen
Schafe: stille Helden und Baumeister unserer Alpen

Schafe: stille Helden und Baumeister unserer Alpen

Schafe betreiben aktiven Hochwasser-, Erosions- und Lawinenschutz Der Frühling hat Einzug gehalten auf unseren Talweiden. Die ersten Weidetiere schmücken schon wieder die Flure oder auch die hofnahen Anger. Schafe in […]

25. April 2024
Weiterlesen
Dreistufenlandwirtschaft: Wenn die Kuh der Vegetation nachzieht | Vorarlberg

Dreistufenlandwirtschaft: Wenn die Kuh der Vegetation nachzieht | Vorarlberg

Sie hat Jahrhunderte auf dem Buckel und entspricht dabei voll und ganz unserem Zeitgeist. Die umfassende Nutzung der gesamten Vegetation des Lebensraumes über die Höhenstufen ist sicher die nachhaltigste Form […]

19. April 2024
Weiterlesen
Auf der Steyersberger Schwaig trifft Almtradition auf moderne Kunst und Künstler | Niederösterreich

Auf der Steyersberger Schwaig trifft Almtradition auf moderne Kunst und Künstler | Niederösterreich

Die Steyersberger Schwaig in Kirchberg am Wechsel in Niederösterreich ist die Sommerfrische für über 200 Stück Galtvieh. Diese halten in einer waldreichen Umgebung Flächen frei, die zahlreiche Gäste sommers wie […]

16. April 2024
Weiterlesen
Die Schaumbergalm ist eine Alm im Nationalpark Kalkalpen | Oberösterreich

Die Schaumbergalm ist eine Alm im Nationalpark Kalkalpen | Oberösterreich

Die Schaumbergalm liegt auf 1.180 Metern Seehöhe am Nordrand des Größtenberges (1.724m) im Hengstpassgebiet zur Gänze im oberösterreichischen Nationalpark Kalkalpen. Seit der 2023 bewirtschaftet Michaela Hollnbuchner die wunderschön gelegene Alm, […]

11. April 2024
Weiterlesen
Bergland- und Almwirtschaft sichern unsere steil gelegenen Ortschaften

Bergland- und Almwirtschaft sichern unsere steil gelegenen Ortschaften

Auf einer Rodeltour im Bereich der Gogles-Alm im Tiroler Oberinntal fällt mein Blick auf die gegenüberliegende Talseite, wo der Weiler Hochgallmigg am steilen Hang klebt, eine von sieben Fraktionen der […]

2. April 2024
Weiterlesen
Das Osterlamm als Symbol des ewig wiederkehrenden Lebens

Das Osterlamm als Symbol des ewig wiederkehrenden Lebens

Lämmer hüpfen verspielt herum, freuen sich ihres Lebens, so sehe ich es jedenfalls. Was für ein herzerfrischendes Bild. Österliche Freude unserer tierischen Mitgeschöpfe. Ich nähere mich ihnen vorsichtig und schnappe […]

31. März 2024
Weiterlesen
Das Osterlamm, der gute Hirte und der Wolf

Das Osterlamm, der gute Hirte und der Wolf

Facebook lässt mich in diesen Tagen auffällig oft wissen, dass Lämmer leben wollen, als wüsste ich das nicht. Es sei geradezu unmoralisch und verwerflich, wenn wie jetzt zu Ostern, Lämmer […]

29. März 2024
Weiterlesen