Schafe: stille Helden und Baumeister unserer Alpen

… Schafe sind perfekt für ihren Einsatz im obersten Stockwerk unserer Berglandwirtschaft angepasst. Kein Wunder, sind sie dafür doch schon von Ötzis Zeitgenossen genutzt und in den Jahrtausenden seither daraufhin züchterisch selektiert worden. Warum Schafe neben ihre Rolle als Fleisch-, Milch- und Wolllieferanten von überragender Bedeutung für uns alle sind, erklärt unser Almfuchs in einem Video rechtzeitig vor der Almsaison.

Schafe betreiben aktiven Hochwasser-, Erosions- und Lawinenschutz

Der Frühling hat Einzug gehalten auf unseren Talweiden. Die ersten Weidetiere schmücken schon wieder die Flure oder auch die hofnahen Anger. Schafe in kleinen und kleinsten Grüppchen zeigen sich überall im Land. In den alpinen Regionen werden sie so schon auf ihren Almsommer vorbereitet. Von den rund 400.000 Schafen des Landes verbringt ca. jedes vierte seinen Sommer auf der Alm. In den Alm-Bundesländern kommt der überwiegende Großteil aller Schafe auf die Alm. Dort sind sie von überragender Bedeutung, weit über ihre landwirtschaftliche Nutzung hinaus.

Über der Waldgrenze und überall, wo es so richtig steil ist, stemmen sich unsere Schafe gegen großflächiges Erodieren, also den Rückgang des Bodens. Durch das regelmäßige Abweiden der Gräser halten sie das Wurzelwerk vital und den Aufwuchs kurz, außerdem befestigen sie den Boden mit ihren kleinen Hufen. Wo Schafe nicht länger gealpt werden, steigt die Hochwasser-, Erosions- und Lawinengefahr, wie zahlreiche Beispiele anschaulich zeigen. Schießen Gräser hoch auf, anstatt von Schafen regelmäßig „abgemäht“ zu werden, bilden sie häufig eine Art undurchdringliches Geflecht. In der Folge kann Starkregen weniger gut versickern. Das Wasser rinnt oberflächlich ins Tal, sammelt sich in Gräben und Bächen und kommt schließlich mit Geröll und Gesteinsmassen im Tal als „Katastrophe“ an.

Im Winter begegnen wir immer öfter sogenannten Fischmäulern, auch Gleitschneelawinen treten gehäuft auf, weil sich hoch aufgeschossenes Gras umgelegt hat und damit eine perfekte Rutschbahn bildet. Hat sich der Schnee an diesen hohen Gräsern festgefroren, reißt im Frühjahr das Gewicht der durchfeuchteten Last die dünne Grasnarbe mitsamt den Wurzeln zu Tal. Das nackte Erdreich bräuchte jetzt in der alpinen Zone Jahrzehnte, bis wieder „Gras über die Sache“ gewachsen ist, bis sich eine Humusschicht aufbaut, die der um sich greifenden Erosion Einhalt gebietet. Vor allem: Von allein baut sich gar nichts auf. Dazu bräuchte es zunächst eine aktive Einsaat, oder Grassoden müssten ausgelegt werden. Danach müsste eine ausreichende Anzahl an Schafen, in Wechselwirkung mit der alpinen Vegetation, das System stabilisieren. Wo diese natürlichen Stabilisatoren im weißen Fließmantel fehlen, verstärken Starkniederschläge die Erosionsphänomene; kleinere Blaiken von wenigen Quadratmetern im besonders steilen Gelände verbinden sich zu immer größeren Flächen; ganze Hänge werden kahl.

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… und zuletzt noch Klimaschutz

Schafe zusammen mit ihren Verwandten, den Ziegen, sind die klassischen „Almputzer“. In steilen Lawinenstrichen und Bachrunsen verhindern sie Verbuschung bzw. machen diese sogar rückgängig und tragen dergestalt aktiv zur Artenvielfalt und zum Klimaschutz bei. Wer das nicht glauben will, der lasse sich von einer Studie im Auftrag der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) eines Besseren belehren. Dort heißt es: „[D]ie Grünerle (..) überwuchert jährlich mehrere hundert Hektaren aufgegebener Alpweiden und breitet sich damit drei- bis viermal schneller aus als der Wald. (…) Bedecken Grünerlen nur schon die Hälfte einer Fläche, wird die Pflanzenvielfalt halbiert, so dicht ist ihr Bewuchs. Aber auch Insekten und Vögel werden seltener. Zudem versauern die Böden. Und die Grünerlenausbreitung fördert den Klimawandel: Grünerlenbestände setzten 35-mal mehr Lachgas frei als Wiesen. Lachgas ist ein äusserst starkes Treibhausgas.“ 

„Jährlich mehrere hundert Hektaren aufgegebener Alpweiden“ allein in der Schweiz! Hierzulande dasselbe „Almensterben“. Zu wenige Schafe und Ziegen sömmern auf unseren Almen. Immer mehr Almbesitzer werfen das Handtuch. Was wir mit jedem dieser Hektare an Alm verlieren, bringt Christine Miller auf den Punkt, eine renommierte Autorin von Fachartikeln zu Ökologie und Wildbiologie, die ich für unser Portal www.unsere-almen.at interviewt habe: „Ohne Almwirtschaft kommt keine tolle Wildnis zustande, sondern artenarme Wüste.“

Die Schützer schützen, aber wie?

Wem diese Zusammenhänge bewusst sind, dem kann es nicht egal sein, dass im Jahr 2023 österreichweit 6000 Schafe weniger gealpt wurden als noch ein Jahr zuvor. Ich sage es unverblümt: Das drohende Verschwinden unserer Schafe von den Almen kann und darf uns allen nicht egal sein!

Die Ursachen für diesen schleichenden Exodus unserer Schafe von den Almen liegen auf der Hand: Die zwei großen „Ws“ bedrohen die Zukunft der Schafalpung.
(Abnehmende) Wirtschaftlichkeit und (zunehmender) Wolfsdruck werden zusehends zum Sargnagel für die Schafalpung, indem sie sich nämlich gegenseitig verstärken. Ein Blick in unsere Nachbarländer verheißt da nichts Gutes.

Ob in der Auswertung der Tiroler Herdenschutzprojekte Lösungsansätze für dieses drohende Dilemma erkennbar sind? Dieser Frage werde ich in einer kleinen Videoreihe demnächst ausführlich nachgehen.

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