Erkenntnisse aus den Tiroler Herdenschutzprojekten: Die Frage nach Schutz und Nutz (Teil 2/3)

… Unser Almfuchs hat die vorliegenden Ergebnisse der Tiroler Herdenschutzprojekte auf Herz und Nieren geprüft und kommt zu hochinteressanten, sogar brisanten Ergebnissen. Gut so, sagt er sich. Dann wird in dieser so hochemotional geführten Debatte rund um das Thema Wolf und Herdenschutz nicht mehr nur aus dem Bauch raus argumentiert, sondern auf Basis von Daten und Fakten. Diesmal schaut er sich an, wie sich die Herdenschutzmaßnahmen auf die Leistungsparameter der gealpten Schafe und Lämmer auswirken.

Was die Hirten und Hirtinnen auf den Projektalmen geradezu Heldenhaftes leisten, darüber habe ich hier schon berichtet. Heute schaue ich mir an, wie sich die Herdenschutzmaßnahmen auf die Leistungsbereitschaft der Schafe und Lämmer auswirken, soweit die Berichte darüber Auskunft geben. Ich sage gleich dazu, dass diese Auswertungen nicht ganz einfach sind, dass sie auch auf den drei Projektalmen überraschend unterschiedlich ausfallen. 

Risse verhindern, aber wie?
Das primäre Ziel der Maßnahmen ist die Verminderung des Rissrisikos durch Großraubtiere. Hier vermelden die Berichte zunächst einfach mal, dass auf allen drei Projektalmen kein Tier von Wolf oder Bär gerissen wurde. Ob dies ursächlich mit den Herdenschutzmaßnahmen zusammenhängt, wie die Berichte vermuten, muss ein Stück weit offenbleiben meiner Meinung nach. Hinweise auf örtliche Raubtierpräsenz bzw. die Sichtung eines Wolfes gab es nur auf einer der Projektalmen, dem Lader Heuberg.

Werfen wir einen Blick auf die tatsächlichen Maßnahmen zum Herdenschutz. Auf allen drei Almen waren Hirten und Hirtinnen die ganze Almzeit über präsent. Ebenfalls wurden überall Hütehunde eingesetzt, wenngleich mit doch recht unterschiedlicher Intensität. Und dann kamen noch auf einer der Almen (Verwall-Alm) zwei Herdenschutzhunde zum Einsatz. Die zentrale auf allen Almen annähernd gleich durchgeführte Maßnahme war das nächtliche Sammeln der Herde in einen durch mehrere stromführenden Litzen eingezäunten Pferch. Dieser Pferch musste über den Almsommer immer wieder abgebaut und an neuer Stelle errichtet werden.

Dieses Einsammeln der Herde durch den oder die Hirten bzw. Hirtinnen ist je nach Gelände und sozusagen „Zerstreutheit“ der Herde ein mehr oder weniger arbeitsintensives Unterfangen. Weil das so ist, wurde auf zwei der Projektalmen die Herde mithilfe von Hütehunden „kompakt geführt“, das heißt, die Schafe konnten nicht einfach nach Gutdünken innerhalb eines eingezäunten Sektors weiden, sondern wurden eng zusammengehalten. Das kompakte Zusammenhalten der Herde tagsüber ist ebenfalls bereist als Herdenschutzmaßnahme gegen mögliche Übergriffe von Großräubern zu verstehen.

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Wenn der Hütehund zum Problem wird
Jetzt geht aus den Berichten jener beiden Almen, wo Hütehunde intensiv zur Lenkung der Herde eingesetzt wurden, recht klar hervor, dass diese „Bewegungseinschränkung“ offenbar nicht von allen Schafen und Schafgruppen gut akzeptiert wurde. Gesteigerte Unruhe und Unzufriedenheit in der Herde hat hier zu weit unterdurchschnittlichen Gewichtszunahmen über die gesamte Almzeit geführt. Auf gut Deutsch, die Hunde, die dazu dienen, die Herde kompakt beieinanderzuhalten als eine der Maßnahmen zum Herdenschutz, erwiesen sich letztlich als zusätzlicher Stressfaktor, sprich kontraproduktiv. Außerdem übertrugen sich typische Krankheiten aufgrund der kompakten Herdenführung verstärkt von Tier zu Tier.

Weit besser schnitt der weitgehend freie Weidegang ohne Einsatz von Hütehund auf einer der Projektalmen ab, dem Lader Heuberg. Hier konnte Hirt Alois Marth seine Herde mit zufriedenstellenden Ergebnissen bei Gewichtszunahme und Tiergesundheit durch den Almsommer führen. Freilich hieß das prinzipiell erhöhtes Rissrisiko tagsüber, weil sich die Schafe in Gruppen und Grüppchen zerstreuen. Der Verzicht auf Hunde beim Führen der Herde verlangte zudem enormen Einsatz von Alois selbst. So legte er im Schnitt mit fast 1.300 täglich mehr als doppelt so viele Höhenmeter zurück als seine Hirtenkolleginnen im Verwall. Für die Schafe war das aber offenbar besser.

Unzufriedene Schafbesitzer ziehen ihre Teilnahme an den Projekten zurück
Ohne alle Details, die die Berichte auflisten, hier vollinhaltlich würdigen zu können, möchte ich zusammenfassen: Aus meiner Sicht kann der Nutzen der Herdenschutzmaßnahmen nicht nur am Umstand festgemacht werde, ob Risse verhindert werden konnten, was sich ohnehin schwer beweisen lässt. Wenn, wie auf zwei der drei Projektalmen, die Schutzmaßnahmen mit gravierenden Kollateralschäden verbunden sind, sprich mangelnde Gewichtszunahmen und schlechter Gesundheitsstatus der Schafe, dann kann man jene Schafbesitzer verstehen, die bereits angekündigt haben, dass sie ihre Teilnahme am Projekt für das Jahr 2024 „dankend ablehnen“. Möge jeder seine Schlüsse selbst daraus ziehen.

Quelle: Herdenschutz-Projekt Lader Heuberg-Alm 2023

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