Literarische Almschmankerln: Das harte Leben der Ziegenhirten

…Der Gastbeitrag des Tiroler Historikers und Buchautors Georg Jäger schildert das einstige Leben von Ziegenhirten, damals so genannten „Goaßbuben“, im Alpenraum. Sie mussten oft in Not und Armut leben und waren von Frühjahr bis Herbst mit den Ziegenherden – oft barfuß – im freien Gelände unterwegs.

Wie sich das Leben von Ziegenhirten („Goaßbuben“) in vergangenen Jahren in unseren alpinen Almregionen abgespielt hat, weiß Tiroler Autor, Bibliothekar und promovierte Geschichtsexperte Georg Jäger aus dem Sellraintal. Der Textauszug stammt aus seinem Buch „Männer und Buben bei der Arbeit“ aus der Reihe „Vergessene Zeugen des Alpenraumes“, erschienen 2019 im Kral Verlag (S. 183).

Die „Goaßbuben“ gehörten im Alpenraum zu den ärmsten Burschen der Dörfer, waren oft vaterlos (Halbwaisen) oder überhaupt ganz verwaist. So kam der Haflinger Ziegenhirte in Südtirol, den der namhafte deutsche Schriftsteller August Lewald 1835 zutreffend beschreibt, aus einer dreiköpfigen Häuslerfamilie. Seine als Magd arbeitende Mutter war Witwe und damit Alleinerzieherin, welche im Herbst die jungen Ziegen verkaufte und dafür Buchweizen erwarb. Die „Goaßmilch“ der alten Ziege („Kuh der armen Leute“) war hier über den Winter neben dem Brei aus Plenten das einzige Nahrungsmittel für die hungernden Kinder.

Die „Goaßbuaben“ standen jeden Morgen bereits in aller Herrgottsfrühe auf, um ihre meckernde Ziegenherde im Dorf zu sammeln, bevor es weiter zu den Weidegründen ging. Damit die oft erst neun- bis zwölfjährigen Buben den Gemeinden nicht als Sozialfälle zur Last fielen, mussten sie also schon seit Beginn der frühen Kindheit beim Ziegenhüten ihr karges Brot verdienen. Die täglich auf- und abgetriebenen Ziegen wurden bald fett und gaben reichlich Milch.

Die „Goaßbuaben“ hatten durchwegs schlechte Kleidung, nämlich geflickte Hosen und grobe Hemden. Sie gingen bei Schönwetter barfuß und bei Regen mit Holzknospen auf die Almberge. Dort oben wurden die Geißbuben als „Postboten“ oder Überbringer der Neuigkeiten („Tagblätter“) von den Hirten und Sennern sehnsüchtig erwartet. So mancher Liebesgruß aus dem Tal wurde übermittelt.

Zum Mittagessen gab es in der Almhütte eine fette Butterschnitte. Die „Goaßbuaben“ erhielten für ihre Arbeit nur wenig Lohn, meistens eine Lodenhose und ein Paar Schuhe. Die Schuhe, welche ein Schuster vor Ort anfertigte, trug der Geißhirte am Sonntag und in der kalten Jahreszeit.

Die „Goaßbuaben“ wurden in Südtirol genauso wie in den anderen Tiroler Landesteilen von den einzelnen Geißenbesitzern verköstigt. So waren im Ahrntal für den „Kuttngoaßa“ täglich Schmarren oder Krapfen vorgesehen, die als Art Proviant in einem Rucksack („Schnerfer“) mitgetragen wurden. Anderswo im Vinschgau, Oberinntal und Graubünden standen für den Geißer ein Stück trockenes Gerstenbrot und ein wenig Käse auf der dürftigen Speisekarte.

Die „Goaßbuaben“ verbrachten vom Frühjahr bis zum Herbst die meiste Zeit im Freien und entwickelten gerade bei ihren oft schwierigen Klettertouren eine große Ausdauer und Gewandtheit. Sie stiegen auf schwindelerregenden Pfaden den verirrten Geißen nach und holten die verstiegenen Tiere wieder zurück zur Herde. Die „Goaßbuaben“ lernten bei ihrer harten Arbeit die überall lauernden Gefahren der unbändigen wilden Natur kennen. Trotz ihrer Geländekenntnisse stürzten jedes Jahr mehrere Geißbuben durch Fehltritte ab. Am Fuße der schroffen Felswände lagen dann in Totenstille die zerschmetterten jungen Körper.

Den Tipp zum Buch „Männer und Buben bei der Arbeit“ aus der Reihe „Vergessene Zeugen des Alpenraumes“ (Kral Verlag) hier nachlesen.

Quelle:

Autor Georg Jäger
Verlag Kral, Berndorf
Erschienen 2019 (2. Auflage)
192 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 978-3-99024-827-0

Kontaktdaten:

Kral GmbH Buchhandlung
Hernsteiner Straße 3/1
2560 Berndorf
buch@kral-berndorf.at
www.kral-buch.at

Bild- u. Textrechte: Kral Verlag / Georg Jäger

Weitere Bücher und Textauszüge von Georg Jäger

Weitere spannende Beiträge zum Leben und Arbeiten

Literarische Almschmankerl: Von Krimml bis Malta – ausgewählte Almen der Hohen Tauern

Literarische Almschmankerl: Von Krimml bis Malta – ausgewählte Almen der Hohen Tauern

Bau- und Kulturdenkmäler„Bauen im (hoch-)alpinen Gelände wird in besonderem Maße durch die natürlichen Voraussetzungen bestimmt. Durch ihre regionale Ausprägung sind Almgebäude daher ein wichtiges Kulturerbe des Alpenraums und des Nationalparks […]

8. Mai 2024
Weiterlesen
Den Almfuchs zieht es auf die Alm

Den Almfuchs zieht es auf die Alm

Heuer im Sommer heißt es für mich „Almfuchs goes Alm“. Und euch nehme ich gerne mit, wenn ihr wollt. Indem ich vom Almleben aus erster Hand berichte. Ca. 8 Wochen […]

7. Mai 2024
Weiterlesen
Erkenntnisse aus den Tiroler Herdenschutzprojekten: Die Frage nach Schutz und Nutz (Teil 2/3)

Erkenntnisse aus den Tiroler Herdenschutzprojekten: Die Frage nach Schutz und Nutz (Teil 2/3)

Was die Hirten und Hirtinnen auf den Projektalmen geradezu Heldenhaftes leisten, darüber habe ich hier schon berichtet. Heute schaue ich mir an, wie sich die Herdenschutzmaßnahmen auf die Leistungsbereitschaft der […]

1. Mai 2024
Weiterlesen
Erkenntnisse aus den Tiroler Herdenschutzprojekten: Hirten-Romantik ade! (1/3)

Erkenntnisse aus den Tiroler Herdenschutzprojekten: Hirten-Romantik ade! (1/3)

Die Rede von einer „Renaissance des Hirtenberufes“ aufgrund des Wolfes ist WunschdenkenUm es sofort auf den Punkt zu bringen: Zum Hirten, zur Hirtin musst du geboren sein, das war und […]

29. April 2024
Weiterlesen
Literarische Almschmankerln: Almen im Nationalpark Hohe Tauern. Natur, Kultur und Nutzungen

Literarische Almschmankerln: Almen im Nationalpark Hohe Tauern. Natur, Kultur und Nutzungen

Zwischen Tradition und InnovationWurden Almweiden früher auf ganz unterschiedliche Art und Weise genutzt, gleichen sich die Beweidungssysteme aktuell immer mehr an. Die beiden Ökologen erklären anschaulich, wie sich die Wirtschaftsweise […]

13. April 2024
Weiterlesen
Dr. Georg Lexer: Unsere Almen sind die Gesundheitslandschaft der Zukunft

Dr. Georg Lexer: Unsere Almen sind die Gesundheitslandschaft der Zukunft

Auf der Heiligenbachalm in den Nockbergen in Kärnten treffe ich Dr. Georg Lexer und denke mir, dass der Name der Alm ja bestens passt für unser Thema. „Heilig“ und „heilsam“ […]

25. März 2024
Weiterlesen
Osterbräuche mit Eiern, Feuer, Ratschen und Rädern

Osterbräuche mit Eiern, Feuer, Ratschen und Rädern

Mit dem Gründonnerstag endet die 40-tägige Fastenzeit. Das Hochfest der Katholischen Kirche beginnt. Die Kirchenglocken werden im übertragenen Sinn nach Rom gesandt und sind deshalb nicht zu hören. Von Gründonnerstag […]

22. März 2024
Weiterlesen
Auf der Alm kommen sich Kuh, Hirsch und Reh nicht in die Quere

Auf der Alm kommen sich Kuh, Hirsch und Reh nicht in die Quere

Ich bin auf der herrlichen Rodelbahn zur Gogles-Alm hoch über dem Pillersattel im Tiroler Oberland unterwegs. Zuerst geht es durch recht dichte Waldbestände. Fichten, Tannen, später dann zusehends mehr Lärchen […]

18. März 2024
Weiterlesen
Vor der Almsaison ist nach der Almsaison

Vor der Almsaison ist nach der Almsaison

Die gute Nachricht zuerstMehr gealpte Tiere, mehr Almweidefläche, mehr Personal: Die Bilanz der Almsaison 2023 in Österreich ist eine positive. Die vergangene Almsaison 2023 war die erste, die in den […]

18. März 2024
Weiterlesen
Unsere Almen sind für vieles im Land wichtig

Unsere Almen sind für vieles im Land wichtig

Von Vorarlberg bis Niederösterreich: Unser Almfuchs hat den ganzen Sommer über Almen in ganz Österreich besucht. Er hat all jene befragt, die von und mit der Alm leben. Eines ist […]

27. Februar 2024
Weiterlesen