Literarische Almschmankerln: Pustertaler Jäterinnen im getreidereichen Pinzgau

…Am Boden kniend zwischen dem wachsenden Weizen Unkraut jäten – und das in mühevoller Handarbeit. Die Pustertaler Jäterinnen gingen dafür über die Pässe und Berge bis ins Tiroler Zillertal oder Salzburger Pinzgau. Der Gastbeitrag des Tiroler Historikers und Buchautors Georg Jäger aus dem Sellraintal schildert das einstige harte Leben von Frauen und Mädchen im Alpenraum.

Der Tiroler Autor, Bibliothekar und promovierte Geschichtsexperte Georg Jäger aus dem Sellraintal schreibt über den harten Arbeitsalltag der bäuerlichen Bevölkerung der Alpenregionen. Der Textauszug stammt aus seinem Buch „Frauen und Mädchen bei der Arbeit“ aus der Reihe „Vergessene Zeugen des Alpenraumes“, erschienen 2020 im Kral Verlag (S. 296 – 297). 

Vom Pustertal zum Jäten ins Zillertal
Auch die Bewohner des Pustertales hatten in ihrer angestammten Südtiroler Heimat oft zu geringe Verdienstmöglichkeiten, weshalb die Frauen noch im 19. Jahrhundert auf die Getreide- und Flachsfelder ins Zillertal zogen oder das Unterinntal bis nach Kufstein und Kitzbühel aufsuchten, um dort Arbeit zu finden. Andere Frauen gingen im Mai sogar über den Tauern, um sich im Salzburgischen (Pinzgau) als Jäterinnen zu verdingen. Der Volksmund nannte diese wandernden Mädchen zutreffend „Jätergitschen“. Im Herbst kehrten sie dann mit ihrem geringen Lohn über die Jöcher und Pässe wieder in die Südtiroler Herkunftsgebiete zurück.

In der Vergangenheit befasste sich die Landwirtschaft auf Pinzgauer Boden neben der Viehzucht mit dem Anbau von Getreide, weil die Bauern zum Kornkaufen kein Geld hatten. Deshalb wurde das „Traid“, vor allem der Weizen, von billigen Arbeitskräften „unkrautfrei“ gejätet. Auf diese Weise sollte dann der Ertrag durch die besseren Wachstumsbedingungen größer sein. Das heute fast eine Seltenheit gewordene lästige Unkraut konnte damals noch nicht durch Spritzmittel beseitigt werden, sondern das Ausreißen musste händisch erfolgen. „Krauten“ nannte man diese von den Pustertaler Saisonarbeiterinnen ausgeübte Tätigkeit.

Jäterinnen im Pustertal
Dorfmädchen im Bündner Oberland in den 1920er Jahre, Foto: Hager

Das leuchtende Gelb des reifen Getreides im Tal bildete den auffallenden Gegensatz zur Grünlandnutzung in den Bergen. Die Hofbewirtschafter im Pinzgau galten als besonders wohlhabend. Es war genau jene Salzburger Region mit den meisten Dienstboten (Ehalten) und den größten Viehbeständen auf ausgedehnten Weideflächen. Nicht selten hatte man bis zu elf Knechte und fünf Mägde. Wie aus der im Jahr 1947 abgedruckten volkskundlichen Studie von Josef Walleitner über „Der Knecht. Volks- und Lebenskunde eines Berufsstandes im Oberpinzgau“ (Salzburg, S. 25) hervorgeht, unterhielt ein rekordverdächtiger Pinzgauer „Bauernkönig“ vorübergehend sogar 43 Dienstboten. Im Unterschied dazu kannte etwa das Ahrntal keine solchen Großbauern. Vorherrschend waren hier Klein- und Mittelbauern mit höchstens 10 bis 15 Stück Vieh.


Nomaden für die landwirtschaftliche Arbeit
Der bekannte Volkskundler Ludwig von Hörmann zählt im Jahr 1877 in seinem Buch „Tiroler Volkstypen. Beiträge zur Geschichte der Sitten und Kleinindustrie“ (Wien, S. 285–286) zu den sogenannten Nomaden u. a. die Unterländer Mäher und Mäherinnen, Drescher und Kornschneider sowie die Jäterinnen, die aus dem Pustertal in das Inntal und Salzburgische ziehen: „Ihr Lohn als Tagwerkerinnen war wenigstens früher ein ‚Zwanziger‘ für gute Arbeit, ein ‚Zwölfer‘ für die weniger gewandte. Etwas mehr bezogen Drescher, Schnitter, Mäher. Besonders Taufers schickte bei geringerem eigenem Feldbau eine hübsche Zahl solcher Leute aus.“

Zwölf „Jätergitschen“ reißen auf einem Weizenfeld den Dill aus
In der zweiten Maihälfte kamen jedes Jahr die Jätergitschen aus dem Pustertal über den Felbertauern herüber in den Oberpinzgau und verdingten sich dort bei den größeren Bauern zum Weizenjäten. Sogar die eigenen Dienstboten mussten zu dieser Arbeit ausrücken. Auf manchem Getreidefeld konnte man eine Reihe bis zu zwölf Jäterinnen kniend dahinkriechen sehen. Dieses Bild bot sich dem Beobachter, wenn das Unkraut beim 10 bis 15 Zentimeter hoch gewachsenen Frühjahrsweizen hervorgekommen war. Nach einer volkskundlichen Untersuchung hatte man es besonders auf den gelben und den weißen Dill abgesehen, der oft massenhaft auftrat und das Getreide regelrecht erstickte. Erst bei starkem Auftreten von Dill wurden auch die wuchernden Roggenfelder gejätet.

Die Jätgoas, ein Gestell zum Wegbringen des Unkrauts
Josef Lahnsteiner schreibt darüber im Jahr 1956 in seinem Werk „Oberpinzgau. Von Krimml bis Kaprun. Eine Sammlung geschichtlicher, kunsthistorischer und heimatkundlicher Notizen für die Freunde der Heimat“ (Hollersbach, S. 122) diese Zeilen: „Neben den Jäterinnen stand die Jätgoas, ein Gestell aus drei Stangen, zwei Meter lang, oben verbunden, mit einem waagrechten Brettel, auf das der Jätkorb gestellt wurde. Der Bub trug die einzelnen Jäthäufel zusammen, warf sie in einen Buckelkorb, stellte diesen auf die Jätgeiß und konnte so ohne fremde Hilfe in den Buckelkorb schlüpfen und das Jät an den Rand des Ackers tragen, wo ein leerer Wagen bereitstand. Abends wurde das Jät nach Hause geführt, in einen Brunntrog geweicht, die Erde abgewaschen und dem Vieh verfüttert.“

Seit dem Jahr 1910 begaben sich keine Jäterinnen mehr vom Pustertal in den Pinzgau. Im 20. Jahrhundert vernachlässigten auch die Einheimischen das Jäten. Es wurden nun chemische Unkrautvertilgungsmittel ausgesät.

Den Tipp zum Buch „Frauen und Mädchen bei der Arbeit“ aus der Reihe „Vergessene Zeugen des Alpenraumes“ (Kral Verlag) hier nachlesen.

Quelle:
Autor Georg Jäger
Verlag Kral, Berndorf
Erschienen 2020
336 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 978-3-99024-888-1

Kontaktdaten:
Kral GmbH Buchhandlung
Hernsteiner Straße 3/1
2560 Berndorf
buch@kral-berndorf.at
www.kral-buch.at

Bild- und Textrechte: Georg Jäger / Kral Verlag (Foto aus dem Bündner Oberland, 1920er Jahre, Hager)

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