Sagen aus dem Zillergrund

Auf einer Almhütte im Zillergrund arbeitete einst ein fleißiger Senner. Am Tag gefiel es ihm sehr gut auf der schönen Alpe, aber in der Nacht kam er kaum zur Ruhe. Denn dann schlurfte jammernd ein Almputz um die Hütte und leierte unentwegt denselben Spruch vor sich hin:

„Gerlossteinwand – so kloan wie a Hand,

Brandbergkogel – so kloan wie a Vogerl …“

Endlich nahm der Senner seinen ganzen Mut zusammen und sprach den heulenden Putz an: „Was hast denn bloß? Des is ja nit zum Aushalten!“

Da wehte eiskalte Luft durch die Hütte und ein steinaltes Männlein mit einem Hirtenstab erschien und greinte: „Bis die Gerlossteinwand so klein wie eine Hand und der Brandbergkogel so groß wie ein Vogel ist – so lang muss ich noch umgehen und büßen!“ „Das dauert aber noch a ganze Weil,“ meinte der Senner mitleidig. „Gibt’s denn wirklich kein anderes Mittel, um dich zu erlösen?“

„Doch, doch“, nickte der Alte schniefend. „Wenn mir jemand was zeigen könnt, was ich noch nie gesehen hab, wär ich auch erlöst. Aber ich bin schon soo lang da und hab schon alles g’sehen. Wirklich alles! Gerlossteinwand – so kloan wie a Hand …“

Und der Almputz schlurfte, unablässig seinen Spruch leiernd, jammernd wieder davon. 

Der schlaflose Senner, dem der Spuk schon längst auf die Nerven ging, dachte nun ständig darüber nach, was er dem Alten Seltsames und Besonderes zeigen könnte.

Da fand er unter der Ofenbank einen Korb mit leeren Eierschalen, die ein früherer Hüttenbewohner aus einem unbekannten Grund gesammelt und dort hingestellt hatte.

Sorgsam verteilte der Senner die weißen und braunen Schälchen auf dem ganzen Tisch und am Herdrand, schüttete da und dort etwas hinein und wartete dann auf den Almputz.

Der schlurfte wie immer gegen Mitternacht herein, brummelte seinen altbekannten Spruch vor sich hin und schlug plötzlich vor Überraschung die Hände zusammen: „Mein Gott! Jetzt bin ich schon so alt, aber so viel Hiefelen und Hafelen hab ich noch nie g’sehn!“

Nach diesem Ausruf tat der Almputz einen tiefen Seufzer und war im nächsten Moment verschwunden. Von dieser Stunde an hatte der schlaue Senner endlich seine verdiente Nachtruhe wieder. 

Quelle: Tiroler Sagen, (Weninger 2018: 139 f.)

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