Der Klang unserer Almen

… Musik ist auf unseren Almen allgegenwärtig. Jodler, Juchizer und Almlieder vertonen Landschaft, Leute und Vieh. Unser Almfuchs hat mit dem Obmann des Tiroler Volksmusikvereines Peter Margreiter gesprochen.

Gesungen und gejodelt wurde und wird auf unseren Almen seit es sie gibt. Eine der tiefsten Wurzeln unserer gewachsenen Volksmusik steckt fest im Almboden. Unser Almfuchs, der selbst gerne gesungen und gejuchzt hat auf der Alm wollte von Peter Margreiter, dem Obmann des Tiroler Volksmusikvereins, wissen, warum die Alm ein derart klingender Ort war und ist.

Wann und wo hat sich die Alm in unsere unverfälschte, ursprüngliche Volksmusik eingeschrieben?

Peter Margreiter: Das lässt sich zeitlich nicht verorten, da speziell in den Bergen und insbesondere auf Almen sicherlich schon vor Jahrhunderten auf einfachste und natürlichste Art und Weise gesungen und musiziert wurde. Der Begriff Volksmusik taucht erstmals im 18. Jhd. auf. Ab diesem Zeitraum wurde die Volksmusik als eigene Gattung definiert und von Wissenschaftlern wahrgenommen. Die Menschen aber, die damals in den Bergen lebten und arbeiteten, hat dies sicherlich wenig beeinflusst. Für sie war Volksmusik einerseits ein Kommunikationsmittel (Alphörner, Almrufe, Lockrufe etc.) und andererseits ein willkommener Zeitvertreib. Ohne Strom und sonstige Dinge hat man mit dem eigenen Körper (der Stimme) oder einfachen Instrumenten gemeinsam Musik gemacht und sich Lieder und Jodler zurecht gesungen. Natürlich ohne weitreichende musikalische Vorbildung, sondern einfach nach dem Gehör, bzw. aus dem Bauch heraus. Spannend ist dabei, dass sich in den unterschiedlichen alpenländischen Regionen verschiedene Volksmusikstile ausgeprägt haben, die man z.T. heute noch erkennen kann. So klingt beispielsweise ein Wiener Dudler in den Voralpen ganz anders als ein Tiroler Almruf oder ein Naturjodel im Appenzeller Land. Vielerorts ist zu bemerken, dass die Melodiegestaltung und harmonische Aussetzung sich im übertragenen Sinne in der jeweiligen Landschaftsform widerspiegeln. Man könnte sagen: Hohe, steile Berge mit Zacken, Zinnen und Felsvorsprüngen klingen anders als, hügeliges, flacheres Waldgebiet.

Ein weiterer Punkt für die starke Präsenz von Volksmusik auf unseren Almen ist der Umstand, dass die Menschen früher bei täglich wiederkehrenden Abläufen und Arbeiten einfach gerne gesungen haben, um sich die oft mühsamen Tätigkeiten zu erleichtern. Man sieht diese Gewohnheit auch heute noch häufig: Wanderer und Wanderinnen, besonders Läufer und Läuferinnen verwenden gerne Kopfhörer, wenn sie sich in der freien Natur bewegen. Früher haben die Menschen statt dieser elektronischen Geräte einfach ihrer Stimme benutzt. Da stellt sich für manchen die Frage, ob dieser Fortschritt nicht eigentlich ein Rückschritt ist.

Apropos Praxis, wer kümmert sich heute aktiv um das auf den Almen entstandene musikalische Erbe? Wo wird es gepflegt?

Peter Margreiter: Tirol nimmt in diesem Zusammenhang eine Sonderstellung ein. Bei uns gibt es mehrere Institutionen, die sich um die Pflege der Volksmusik und des Volksliedes kümmern. Einerseits ist das Tiroler Volksliedarchiv, das eine Teilorganisation des Österreichischen Volksliedwerkes ist, zu erwähnen und zum anderen der Tiroler Volksmusikverein. Dieser ist im Bereich regionaler Volksmusikpflege sicherlich führend im Alpenraum tätig. Von dieser Institution gehen zahlreiche Initiativen, Veranstaltungen und Fortbildungen aus, die alle eines zum Ziel haben: Die Erhaltung der überlieferten, tradierten Tiroler Volksmusik in ihrer einzigartigen Ausprägung. Gleichzeitig wird aber auch die zeitgemäße Auseinandersetzung und Weiterentwicklung dieser Musikgattung gefördert. Besonders das Singen und Musizieren am Berg oder auf Almen in Form von Almsingen, Juchezertreffen oder Musikantenhoangarten findet bei Einheimischen wie bei auch Gästen großen Anklang.

Nicht selten ziehen sich auch heute Volksmusikanten und Volksmusikantinnen gerne zeitweise in höhere Regionen zurück, um zur inneren Ruhe zu kommen und kreative Prozesse entstehen zu lassen. In letzter Zeit sind besonders Veranstaltungsformate, die das Erleben und Spüren der Natur in Verbindung mit Musik zum Ziel haben, äußerst beliebt geworden. Auch in Tirol werden schon seit einigen Jahren die sehr erfolgreichen Seminare „Jodeln & Wandern“ und „Skitour & Volksmusik“ mit dem Tiroler Volksmusikverein als Kooperationspartner angeboten.

Wo sieht bzw. hört man den Einfluss der Almen auf die Volksmusik?

Peter Margreiter:
Einerseits beziehen sich viele Liedtexte auf Inhalte, die mit dem Almleben und den damit zu verrichtenden Tätigkeiten zu tun haben, andererseits ist die Melodiegebung der Lieder ausgeprägt mit der regionalen Landschaftsform verwoben. Somit gibt es ein nahezu unerschöpfliches Repertoire an Tiroler Alm – und Bergliedern. Auch die Entstehung der zahlreichen Jodler geht auf praktische Hintergründe zurück. Die damalige Kommunikationsform mit dem zu betreuenden Vieh, aber auch mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sowie mit den benachbarten Almen musste ohne technische Hilfsmittel auskommen und so wurde die eigene Stimme, als wunderbares Verständigungshilfsmittel kreativ, alpenländisch und mit dem jeweiligen regional ausgeprägten Kolorit versehen, genutzt.

Abgesehen von der täglich wiederkehrenden Arbeit, wovon singt die Alm noch? Welche Motive und Bilder kommen häufig vor?

Peter Margreiter: Besonders häufig sind natürlich, wie bei so vielen Liedern, auch im „almerischen“ Kontext die Themen Liebe und zwischenmenschliche Beziehungen. Die musikalisch beschriebenen Akteure und Akteurinnen sind meistens jene, die sich damals in der noch recht einsamen Natur aufgehalten haben: Sennerinnen und Senner, Mägde, Knechte, Bauersleute und nicht zu vergessen: Der einsame Jäger, der allzu gerne nach der Pirsch auf der Alm zu Besuch kommt.

Dabei ist aber besonders hervorzuheben, dass viele der alten, überlieferten Lieder einen ausgeprägten, stilvoll eingearbeiteten Humor und eine charmante Zweideutigkeit aufweisen. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass es in früheren Zeiten nicht jedem erlaubt war, öffentlich seine Meinung kundzutun oder über Themen zu sprechen, die dem jeweiligen Stand nicht zugebilligt wurden. So hat man einfach mit einem leichten Augenzwinkern den eleganten Ausweg über den Gesang gewählt. Bei neu geschaffenen Almlieder ist diese hintergründige, niveauvolle Textausgestaltung eher selten zu finden. Auch wird oft auf die Verwendung des regionalen Dialektes verzichtet. Das ist in manchen Fällen besonders schade, da es manche Wörter und Begriffe im Hochdeutschen nicht gibt und mache Zusammenhänge sich im Dialekt einfach passgenauer formulieren lassen. Somit wurde aber auch unbewusst ein Qualitätsmerkmal geschaffen, das auf einfachem Wege in den meisten Fällen hilft, ein Tiroler Volkslied von einer Neuschaffung aus dem kommerziellen Unterhaltungsmusikbereich zu unterscheiden.

Welche Saiten der Seele bringt die Alm deinem Empfinden nach besonders zum Schwingen?

Peter Margreiter: 
Menschen, die sich eine längere Auszeit in der heimischen Bergwelt nehmen, merken schon nach wenigen Tagen, dass sich im Normalfall eine gewisse innere Ruhe ausbreitet. Besonders wenn keine technischen Einrichtungen wie Handys, TV- und Radiogeräte, etc. zur Verfügung stehen. Dann stellt sich beim Wandern, aber auch beim gemütlichen Sitzen auf der Hausbank oder bei den zu verrichtenden Tätigkeiten, ein fast schon meditatives Gefühl ein. Manchmal ist es diese besondere kraftgebende Stille oder ein Vogelsang, der die Seele animiert die Gedanken schweifen oder eine neue Melodie entstehen lässt. Das heißt, wenn man sich in unseren Bergen aufhält oder bewegt: Bitte immer elektronische Kommunikationsmittel auf Flugmodus stellen, alle Sinne öffnen und die Natur genießen. Der Rest kommt von allein.

Herzlichen Dank für den wertvollen Rat und das gute Gespräch!

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