Warum Menschen auf der Alm arbeiten wollen

…die Grazer Kulturanthropologin Valerie Taus (29) hat in ihrer Dissertation das Leben und Arbeiten auf unseren Almen unter die Lupe genommen. Sie hat u.a. herausgefunden, warum es Frauen aus der Stadt auf die Alm zieht, welche Beziehungen zu Kühen sich ergeben, wie Sennerinnen gesehen wurden und werden. Antworten gibt sie im Interview.

Auf die Kuh gekommen: Die Dissertation von Valerie Taus trägt einen schlichten, aber vielversprechenden Titel. Die 29-jährige Grazerin hat im Studienfach Europäische Ethnologie und Kulturanthropologie das Arbeiten auf unseren Almen erforscht und auch am eigenen Leib erfahren. Taus war drei Monate lang auf einer Alm im Ennstal als Beisennerin tätig. Von Juni bis September hatte sie sich tagtäglich um Milchkühe, 40 Mutterkühe und Kälber, Schweine und Kaninchen zu kümmern, zu melken und Gäste zu bewirten – bei jedem Wetter und in jeder Verfassung. 14-Stunden-Tage waren die knochenharte Regel.

Ihre eigenen Erfahrungen hat sie durch zahlreiche analytische Gespräche ergänzt. Sie hat Sennerinnen und Erstsaisonniers, also Menschen vor und nach ihrem ersten Almsommer, befragt. Außerdem führte sie Interviews mit Expertinnen und Experten und wälzte zahlreiche Bücher. All das hat eine im wahrsten Sinne des Wortes vielseitige Doktorarbeit ergeben, mit Einblicken ins aktuelle Almleben sowie fundiert historischen und wissenschaftlichen Bezügen. Die Kulturanthropologin hat besonders Sennerinnen und Frauen auf Almen in den Forscherblick genommen. Denn in den niedergelegenen Betrieben der Steiermark sei es üblich gewesen, dass vor allem Frauen die Milchwirtschaft über hatten. Noch heute ist das ortsweise Sitte.

Wie ist es Ihnen bei den Arbeiten als Beisennerin und mit den Milchkühen gegangen?
Valerie Taus: Ich hatte sehr großen Respekt vor den Tieren, weil ich sie nicht einschätzen konnte und noch nie so nah mit ihnen gearbeitet habe. Die Enkelkinder des Bauern waren im Volksschulalter und als die mitbekommen haben, dass ich mich ungeschickt anstelle, haben sie gemeint, wir zeigen dir das. Sie haben alle Kühe bei ihren Namen gekannt und auch gewusst, wie man welche Kuh am besten ruft.

Haben Sie für Ihre Dissertation genügend Interviewpartnerinnen und -partner gefunden?
Valerie Taus: Auf jeden Fall. Als ich in meinem Umfeld zu erzählen begonnen habe, worüber ich schreiben werde, kam von sehr vielen Leuten die Antwort, ich kenne da jemanden, der hat das schon einmal gemacht. Die ersten Interviewten, die schon einmal auf einer Alm waren, haben berichtet, dass alles super war, sonst hätten sie ja nicht mehr darüber sprechen wollen. Es war aber auch toll, dass ich die Chance gehabt habe, Personen vor und nach ihrem Aufenthalt zu interviewen. Zu meinem Glück war eine Person dabei, die den Almsommer abgebrochen hat, das hat meiner Forschung eine tiefere Ebene gegeben.

Ihre Dissertation ist im Rahmen des Programms Transformationsprozesse Europäischer Gesellschaften entstanden. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts haben sich die Almen und deren Bewohner massiv verändert. Was haben Sie im Zuge Ihrer Recherchen beobachten können?
Valerie Taus: Da gibt es zwei Punkte: einerseits die Technisierung und modernisierte Molkereiwirtschaft. Dadurch haben sich andere Berufstätigkeiten ergeben. Kleinere Betriebe haben ein schwierigeres Überleben, wenn sie nicht an eine große Molkerei gebunden sind. Der zweite Punkt ist die Nachfolge und Erhaltung der Betriebe. Kinder und Enkelkinder aus solchen Betrieben sehen, wie hart diese Arbeit ist, wie sehr man von Natur und Umwelt, gleichzeitig auch von Politik und Wirtschaft abhängig ist. Die Nachwuchsgenerationen bekommen mit, wie schwierig es ist, kleinere Betriebe am Leben zu erhalten, geschweige denn davon leben zu können und finanziell abgesichert zu sein. Deshalb gibt es auch ganz viele Statistiken über Suizidraten von Landwirtinnen, weil es ein knochenzehrender Job ist und man so eine Ungewissheit hat. Es ist, glaube ich, verständlich, dass Kinder und Enkelkinder sagen, sie wollen den Hof nicht übernehmen.

Die von Ihnen angesprochene harte Knochenarbeit: Kommen Beschreibungen dazu in der Literatur viel vor oder nicht?
Valerie Taus: In der Populärliteratur wird die Arbeit auf der Alm hauptsächlich verherrlicht und romantisiert, ein idyllischer Blick widergespiegelt. Wissenschaftliche Arbeiten, die sich konkret damit auseinandersetzen, wie schwer diese Arbeit ist, habe ich zu Beginn nicht leicht gefunden, aber dann immer mehr.

Ich kann mir vorstellen, dass sich bei der Almarbeit schöne Momente und harte Arbeit ständig abwechseln und man sich schwer tut beide Seiten gleich gut darzustellen.
Valerie Taus: Ich habe meine Masterarbeit über das Pilgern geschrieben und der Titel war, „Die Achterbahnfahrt der Gefühle“, weil es da auch so ein ständiges Auf und Ab ist. Einerseits diese Anstrengung, es ist kräftezehrend und der ganze Körper tut weh, wie auf der Alm. Und auf der anderen Seite diese wunderbaren Erlebnisse in der Natur, mit sich selbst sein zu können und, dass es positiv sein kann, seinen Körper wieder zu spüren.

Würden Sie sagen, dass negative Erfahrungen und harte Arbeit ausgeblendet werden?
Valerie Taus: Dieses Erlebnis auf der Alm oder beim Pilgern war für die interviewten Personen etwas Außergewöhnliches und Tolles. Sie haben das in einer so schönen Erinnerung behalten. Wenn man die Personen fragt, würdest du das wieder machen wollen, kommt die Antwort prompt: Ja sofort. Es sind Personen, die irgendwie auf der Suche sind – ohne esoterisch klingen zu wollen, auf der Suche nach einem neuen Abenteuer, und auch ein bisschen auf der Suche nach etwas Naturverbundenem, zu sich selbst kommen, das schwingt alles mit rein.

Da haben Sie schon wichtige Motive auf die Alm zu gehen angesprochen. Welche kommen noch dazu?
Valerie Taus: Diese Einfachheit ist immer wieder genannt worden: dass man nur wenige Dinge braucht, und sich auf das wirklich Wichtige im Leben besinnt.

Haben sich die Motive, die die Leute vor ihrem Almsommer genannt haben, erfüllt? Sind sie mehr mit sich und der Natur in Kontakt gekommen, wie sie es vielleicht wollten?
Valerie Taus: Tiere würde ich da miteinschließen. Die Personen, die ich vor und nach ihrem ersten Almsommer interviewt habe, haben zunächst angegeben, die Kühe seien ihnen irgendwie suspekt. Mit der Zeit ist eine Art Zuneigung und Näheverhältnis zu den Kühen entstanden. Das ist der große Unterschied zu Vorher und Nachher.

Kann man sagen, dass die Beziehung zur Kuh für die Sennerinnen in der heutigen Zeit emotionaler geworden ist?
Valerie Taus: Das glaube ich nicht. Emotionaler ist der falsche Begriff, weil die Sennerinnen in der älteren Literatur auch alle ihre Tiere beim Namen kannten und wussten, welche konkreten Eigenschaften und charakterlichen Züge die Kühe mitbringen. Da war schon eine sehr emotionale Beziehung gegeben. Auch wenn ein Tier verunglückt – es passiert immer wieder, dass Kühe abstürzen oder vom Blitz erschlagen werden –, merkt man, was das für eine tiefe Verbindung war. Das kann man so schnell – innerhalb eines Almsommers – nicht aufbauen.

Wollen Sie kurz das Bild der Sennerin umreißen, im historischen Kontext und wie Sie es jetzt mit den interviewten Frauen erlebt haben? Wie haben sich die Bilder gewandelt?
Valerie Taus: Die Darstellungen aus älteren Zeiten zeigen meistens praktisches Gewand, also eine einfache Tracht. Das Bild heute ist vielschichtiger, weil man prinzipiell in Multifunktionskleidung und mit Gummistiefeln arbeitet. Aber wenn eine besondere Feierlichkeit ist, oder Touristen kommen, und man weiß das, dann wird die Tracht angezogen. Einerseits wissen die Leute, die auf den Almen arbeiten, wir machen das jetzt für die anderen, die schauen kommen, aber andererseits wollen, die, die kommen, das auch so sehen. Die wären mitunter enttäuscht, wenn eine Person mit Regengewand und Gummistiefeln dasteht. Das Bild der trachtentragenden Sennerinnen möchte auch weitergetragen werden.

Wie haben die interviewten Personen die Arbeit auf den Almen erlebt?
Valerie Taus: Man wird vorher nicht wirklich eingeschult. Es gibt viele Kurse beim Ländlichen Fortbildungsinstitut. Die Landwirtinnen und Landwirte sagen aber auch, komm einfach, wir zeigen dir das schon. Und man bekommt das mehr oder weniger einmal vorgezeigt. Da gibt es Personen, mit denen ich gesprochen habe, die sich damit schon schwergetan haben. Sie haben nicht gewusst, wie genau sie bestimmte Handgriffe machen sollen. Das war, glaube ich, die größte Herausforderung. Aber wenn man einmal eingespielt war, so habe ich das aus den Interviews herausgehört, war die Arbeit an sich kein Problem – eher an sich dieses Einlernen und Ankommen, das dauert ein paar Wochen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Bildrechte: Markus Brunner

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