Das Wetter ist bescheiden, aber gerade noch trocken genug, um das Interview draußen zu beginnen. Im Verlauf des Gespräches wechseln wir aber in die warme Stube.


Christel, du arbeitest aktuell an einem Buchprojekt. Die Handlung soll großteils auf einer Alm in Westösterreich spielen. Was hat es damit auf sich?
Ich liebe die Almen. Das ist ein wichtiger Punkt für mich, das Buch auf einer Alm spielen zu lassen. Aber die zentrale Frage, um die es in meinem Buch gehen wird, ist, wo der Platz von älteren Menschen in der heutigen Gesellschaft ist.
Haben sie noch einen Platz, oder werden sie nicht mehr so ganz gut gesehen für alles, was sie gemacht haben? Wird das vergessen, wenn man keinen Beruf mehr hat, sondern in Pension ist? Das ist das zentrale Thema in meinem Buch und ich kombiniere das mit der Alm.
Meine Hauptperson denkt ungefähr so: Ich werde nicht den Rest meines Lebens hier in meinem Zimmer sitzen, nach draußen schauen und gar nichts mehr machen.
Ich will noch etwas bewegen in der Zeit, die ich noch habe. Als alter Landwirt hat er immer einen eigenen Betrieb gehabt und denkt also: Ich gehe nach Österreich auf eine Alm und dort kann ich mich mit meinem landwirtschaftlichen Wissen nützlich machen und das Leben auch genießen. Das ist es eigentlich, was ich möchte.
Ich weiß nicht genau, wie ich auf den Gedanken verfallen bin, das Ganze auf einer Alm spielen zu lassen. Meine Eltern sind bis ins hohe Alter regelmäßig nach Tirol gefahren – immer zur selben Bauernfamilie. Sie haben dort mitgeholfen, etwa bei der Marillenernte oder beim Heuen. Es war nicht nur Urlaub, sondern ein echtes Miteinander. Ihr Wissen wurde geschätzt – sie konnten Dinge zeigen, die sonst niemand dort so recht gewusst hatte. Mein Vater hat etwa bei der Kartoffelernte sozusagen gewisse Verbesserungen angeregt und die wurden dankbar angenommen -ganz selbstverständlich.
Für mich ist Tirol ein zweites Zuhause – dort habe ich als Kind vieles aufgesogen: Stimmungen und Bilder. Letzte Woche war ich wieder dort – und es fühlt sich immer noch vertraut an. Der Ort prägt mein Schreiben. Deshalb wusste ich: Mein Roman muss in Tirol oder Vorarlberg spielen.
Siehst du in diesem Punkt einen generellen Unterschied zwischen Tirol und deiner Heimat?
Ich denke tatsächlich das ist ein bisschen anders in Österreich als in Holland. Bei euch ist mehr Dankbarkeit spürbar und das Wissen, was die älteren Leute früher geleistet haben. Auch diese beiden Bauersleute, bei denen wir auf Urlaub waren, wissen noch ganz genau, was meine Eltern beigetragen haben. In den letzten Jahren kehrte sich das Verhältnis dann um: Die Tiroler haben sich um meine Eltern gekümmert, sie zum Beispiel auf die Alm mitgenommen, ihnen schöne Tage bereitet. Das war wie ein stilles Zurückgeben. Diese gegenseitige Wertschätzung hat mich sehr berührt – und wahrscheinlich kommt genau daraus die Idee für mein Buch.
Jetzt in meinen Recherchen zum Buch auf unterschiedlichen Almen fasziniert mich die Vielfalt von bewirtschafteten Almen – da lerne ich viel. Es ist ein Prozess: beobachten, aufschreiben, nachdenken. Wie genau das in die Geschichte einfließt, weiß ich noch nicht, das entwickelt sich erst nach und nach.


Würdest du sagen, dass die Almwirtschaft als landwirtschaftliche Praxis mit einer großen Tradition, etwas mitzureden hat, wenn es um die Ausgestaltung der zukünftigen Landwirtschaft geht? Oder ist sie ein Relikt, das es jetzt noch gibt, weil es touristisch inszeniert wird, wo man halt noch ein bisschen Landwirtschaft dafür braucht?
Ich denke, man sieht beides: Es gibt Almen, die hauptsächlich touristisch genutzt werden – schöne Orte zum Wandern, aber ohne viel Verbindung zur Landwirtschaft. Und dann gibt es andere, wo die ganze Familie mitarbeitet, sogar der 88-jährige Vater hilft noch mit, beobachtet das Wetter, bringt Erfahrung ein.
Man sieht auch an der Almfläche selbst, wo gepflegt wird – und wo nicht. Wenn kleine Bäume wachsen, wo früher Wiese war, merkt man, dass das Offenhalten aktiv betrieben werden muss. Und wenn man bedenkt, wie wichtig Beweidung für die Stabilität des Bodens ist – gerade wenn immer öfter kleine Hangrutsche passieren, wird klar: Es geht nicht nur um Tradition, sondern auch um eine konkrete Funktion.
Was ich außerdem bei meinen Besuchen spüre: Die Arbeit ist hart, aber sie wirkt freier. Menschen kombinieren Hofarbeit mit anderen Jobs, helfen sich gegenseitig, sind flexibel. Das fühlt sich anders an als ein Bürojob mit fixen 40 Stunden – nicht unbedingt leichter, aber erfüllender. Es ist definitiv nicht leichter, aber es fühlt sich anders an.
Unsere im Vergleich zu Holland winzigen Strukturen sehen wie ein Auslaufmodell aus, wenn man jetzt nur an Effizienzsteigerung denkt. Aber du siehst eben auch die Vorteile, wenn ich dich richtig verstehe? Da entsteht irgendwo auch ein sozialer Kitt dadurch und ein Platz für die ältere Generation, der Generation Gap geht vielleicht nicht so weit auf?
Man sieht auch in Holland oft, dass ältere Menschen noch lange mitarbeiten, zum Beispiel auf Milchviehbetrieben. Aber insgesamt leben wir sehr getrennt in Altersphasen: Schule, Arbeit, Pension – als wären das drei abgeschlossene Welten. Das ist schade. Ich denke, dass in Österreich das Wollen und Können verschiedener Generationen noch mehr genutzt wird, indem weniger Unterscheidungen zwischen den Generationen gemacht werden.
Ich denke, in Holland könnten viele junge Menschen mehr Verantwortung übernehmen, als man ihnen zutraut. Und ältere Menschen verlieren oft ihre Rolle – sie werden nicht mehr wirklich gesehen, fühlen sich nicht mehr nützlich, werden zu reinen Konsumenten. Dabei wissen sie unglaublich viel.
Gerade weil wir immer älter werden, wäre es wichtig, diese Lebensphase aktiver zu gestalten. Wer sich geistig fordert, bleibt auch im Kopf fitter. Wenn aber jeder Tag gleich abläuft – Hundespaziergang, Kaffee, Zeitung –, dann wird man innerlich schneller alt. Und das macht das Leben nicht schöner.
Und dein Protagonist in dem Buch sollte ein Gegen-Beispiel dafür sein. Er kommt aber dann auf die Alm, wo er sich angemeldet hat. Und dort sind sie zunächst enttäuscht, weil sie einen jüngeren Menschen erwartet haben? Weil sie befürchten, er könne die anfallende Arbeit nicht bewältigen?
Ja, das ist die Idee.
Dass er älter ist, ist offensichtlich, aber die andere Seite von ihm, die sieht man nicht: er weiß ganz viel. Die wird sich erst im Laufe des Buches zeigen. Dann werden die Personen in dem Buch das auch bemerken.
Das wandelt sich also von: oh, er ist alt, er ist aus Holland, zu: er weiß ganz viel über die Kühe zum Beispiel. Und sie bemerken, dass er weit nützlicher ist, als sie anfänglich gedacht haben.
Auf der anderen Seite wird mein „Held“ bemerken bei der ganzen harten Arbeit auf der Alm, dass er auch nicht mehr alles kann. Für ihn als Landwirt ist das schwierig. Das ist sein Learning, zu akzeptieren, dass er nicht mehr alles kann, auch nicht mehr alles versteht. Zum Beispiel in Sachen Informationstechnologie. Dazu die körperlichen Beschwerden, zum Beispiel die Knie, die nicht mehr so gut funktionieren usw. Aber ich denke, dass man auch lernen kann, wie man von mehr und anderem Wert sein kann, als man immer gedacht hatte.
Wenn ich mit Bauern in Holland rede, die Mentalprobleme haben, dann denken die oft, dass sie nur ein Ding machen können. Ich bin Bauer. Das ist es, was ich mein Leben lang wollte, was ich gemacht habe. Und wenn ich kein Bauer mehr sein kann, dann habe ich keine Ahnung, dann ist alles weg, mein Ziel im Leben ist weg. Das macht es sehr schwierig, etwas anderes zu machen, wenn du eigentlich schon weißt, dass es nicht mehr funktioniert auf dem Betrieb.
Ich denke, das kennt ihr in Österreich auch? Wenn es nicht mehr geht auf einem Betrieb, wenn er zu klein ist, oder wenn es körperlich nicht mehr geht, dann müsste man anderes probieren, anders entscheiden. Aber das ist so schwierig, wenn man groß geworden ist mit dem „Auftrag“: Du bist hier der Bauer, du bist hier die nächste Generation. Dann ist es schwierig zu entdecken, was ich außerdem kann, was ich eigentlich möchte?
Das lernt meine Hauptperson auch, wie er mit Reden, mit Zuhören wirklich anderen Leuten helfen kann, durch Da-zu-sein für die Person. Durch Empathie. Ich denke, auch im höheren Alter, kann man das noch lernen, dass man in viel mehr Dingen ein Talent hat.


Ich finde es schön, dass du das auf einer Alm sich entwickeln lässt, dass dir als Kind vielleicht schon dieser Grundgedanke da eingegeben wurde. Es wird natürlich nicht reibungsfrei gehen. Das wird auch Teil des Buches sein. Aber es klingt nach einem positiven Grundgedanken, den du ausdrücken willst?
Ja, absolut.
Dann wünschen wir dem Buch gutes Gelingen.
Eine große Leserschaft im Holländischen, damit es schnell ins Deutsche übersetzt wird. Oder zumindest ins Englische, damit ich‘s auch lesen kann.
Und ich darf mich ganz herzlich bedanken für das Gespräch.
Ja, gern geschehen. Danke.
Bildrechte: Christel van Raaij
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