„Auftrieb, Auszeit, Almglück – die stille Schönheit des Almsommers.“
Wenn der Schnee geschmolzen ist, die Bergwiesen aufblühen und die Tage länger werden, beginnt für uns eine der schönsten Zeiten des Jahres: der Almsommer. In Tirol hat diese Tradition einen festen Platz – nicht nur in alten Liedern und Fotos, sondern auch in unserem bäuerlichen Alltag. Für unsere Schafe bedeutet der Sommer einen Tapetenwechsel: raus aus dem Stall, hinauf auf die Alm. Genauer gesagt: ins Ötztal, wo sie gute drei Monate lang in einer betreuten Herde auf saftigen Weiden verbringen dürfen.


Der Almauftrieb ist jedes Jahr ein besonderer Moment. Unsere rund 150 Schafe – darunter etwa 60 Muttertiere, ihre Lämmer und unsere Zuchtwidder – werden an einem frühen Sommertag auf einen LKW verladen und ins Ötztal gebracht. Dort angekommen, beginnt für sie das, was man wohl als „Sommerfrische für Schafe“ bezeichnen könnte. Statt Zäune gibt es Weite. Statt Futtertröge eine reiche Kräuterwiese. Statt Stallmauern nur Himmel, Wind und der Klang von Glocken und Murmeltieren.
Während unsere Tiere die hochalpine Freiheit genießen, beginnt für uns zu Hause die arbeitsintensivste Zeit des Jahres: die Heuernte. Das Futter für den nächsten Winter wächst nämlich genau dann, wenn die Schafe weg sind. Und das ist auch gut so – denn das alpine Gelände, das wir bewirtschaften, lässt sich nur mit viel Mühe und Handarbeit bearbeiten. Viele unserer Wiesen liegen so steil, dass Maschinen dort nicht arbeiten können. Also greifen wir zur Sense, zum Rechen, zum Mähbalken. Es ist schweißtreibend – aber jede trockene Heugarbe, die wir aufladen, riecht nach Stolz und harter Arbeit.


Der Almsommer hat viele Vorteile – für die Tiere, für uns und für die Natur. Unsere Schafe können sich auf der Alm in einer Umgebung bewegen, die ihrer natürlichen Lebensweise entspricht. Die Höhenlage, die frische Luft, das vielfältige Futter – all das stärkt ihre Gesundheit und fördert ihr Wohlbefinden. Gleichzeitig helfen sie, die Almflächen offen zu halten. Denn ohne Beweidung würden diese wertvollen Weideflächen zuwachsen, die Artenvielfalt würde zurückgehen und ein Stück Tiroler Kulturlandschaft verloren gehen.
Auch für uns ist diese Zeit eine kleine Atempause – zumindest was die tägliche Stallarbeit betrifft. Natürlich schauen wir regelmäßig nach unseren Tieren und stehen in engem Austausch mit den Hirten vor Ort. Aber dennoch verschieben sich die Schwerpunkte: von der Tierpflege hin zur Landschaftspflege. Die Heuarbeit fordert uns genauso heraus – und gibt uns doch dieses besondere Gefühl von Selbstversorgung, von Handwerk, von Bodenständigkeit. Wir ernten nicht nur Heu, wir sichern damit das Überleben unseres Hofes über den Winter hinaus.


Im September ist es dann soweit: Die Herde wird wieder zusammengeführt, verladen und zurück nach Hause gebracht. Meist mit etwas mehr Bauchumfang, glänzendem Fell – und einem fast zufriedenen Blick, als ob auch sie wüssten, dass sie eine gute Zeit hinter sich haben. Der Almabtrieb ist für uns ein Fest – kein lautes mit Musik und Kränzen, sondern ein inneres Fest des Wiedersehens. Es bedeutet: Wir haben es wieder geschafft. Mensch und Tier. Natur und Landwirtschaft. Gemeinsam.
Die Tiroler Almen sind mehr als nur schöne Postkartenmotive. Sie sind Lebensraum, Arbeitsort, Rückzugsgebiet und Kulturgut zugleich. Und sie zeigen: Nachhaltige Landwirtschaft funktioniert nicht gegen die Natur, sondern mit ihr. Jedes Tier, das dort weidet, jede Hand, die dort arbeitet, hält dieses wertvolle System am Leben.
Für mich als Bergbäuerin ist der Almsommer ein Stück gelebte Tradition – aber auch Zukunft. Denn wenn wir heute in unsere Tiere und unsere Landschaft investieren, dann investieren wir auch in das Morgen – in eine gesunde Umwelt, in ehrliche Lebensmittel und in ein echtes Leben mit Sinn.
Bildrechte: Elisa Thruner
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