Heuziehen im Tiroler Valsertal

…Ein Kulturschatz aus Tirol, der im Winter nach Sommer duftet: Das Heuziehen ist eine alte Tradition der Almwirtschaft im Valsertal.

Die Tradition des Heuziehens im Valsertal ist dank des Trupps rund um Erich Gatt und Hans Eller nicht in Vergessenheit geraten. Mit dieser altbewährten Technik wird jedes Jahr unter anderem das Heu von Helga Hagers Nockeralm im hinteren Valsertal (Tirol) von 1.400 Metern Seehöhe ins Tal befördert. Ein alte Almtradition, die Muskelkraft, Geschicklichkeit und die richtige Technik erfordert.

Damit Helga Hagers Ziegen auch im Winter mit hochwertigem Bergheu versorgt werden, beauftragt sie jährlich die Valser Heuzieher, um ihr Heu vom Ocherloch – ein Bergmahd auf 1.600 Metern Seehöhe in der Nähe der Nockeralm – ins Tal zu befördern. Ehrenamtlich widmen sich die naturverbundenen Männer dieser schweißtreibenden Aufgabe. Sie sorgen dafür, dass die „Reisl“ (Heufuhren) von den steilen Almwiesen zu den Tiroler Bauernhöfen gelangen und die Tiere im Tal auch in der kalten Jahreszeit von den nährstoffreichen Wiesen- und Almkräutern zehren können. 

Kraft und Technik ausschlaggebend
Die Valser Heuzieher sind überall dort zur Stelle, wo maschinelle Mäharbeiten nicht möglich sind. „Das Alter spielt beim Heuziehen keine Rolle, es kommt auf die Kraft und Technik an“, erzählt Andreas Eller. Mit 44 Jahren ist er das jüngste Mitglied und sein Vater Johann Eller mit 83 Jahren das Urgestein der Truppe.

Die Tradition des Heuziehens wäre fast in Vergessenheit geraten, aber Dank der Enthusiasten aus dem Valsertal profitiert Mensch und Tier auch heute noch davon. Von Weihnachten bis Ende März sind die Valser Heuzieher stets einsatzbereit, denn ihre Arbeit müssen sie an die Schneeverhältnisse anpassen. „Mindestens 60-70 cm Schnee sollten liegen, damit auch der Schnee im Wald für den Transport ausreicht“, erklärt Eller. Die Vorbereitungen dafür starten bereits wesentlich früher.  

Mit der „Ferggl“ auf die Alm
Im Sommer wird das Gras nahe Hagers Nockeralm mit der Sense gemäht, anschließend im Stadel oder auf einem Heuschober – einem kegelförmigen, aufgeschichteten Heuhaufen – gelagert und so vor Witterungseinflüssen geschützt. Liegt im Winter genügend Schnee, packt der Trupp um Hans Eller sämtliche Utensilien – „Ferggl“ (Schlitten), „Staggl“ (Holzstab) und „Wisbam“ (Stecken) – ein und macht sich auf den Weg.

Mit der passenden Ausrüstung, guten Bergschuhen an den Füßen und in Lodenhose und -gamaschen gekleidet, wird der Aufstieg zur Alm in den Morgenstunden bewältigt. Mit dem Lastschlitten – die so genannte „Ferggl“ – im Schlepptau. Diese besteht aus Holzgestell, Holzstäben und Stricken. Ein normaler Schlitten würde sich für den Transport nicht eignen, denn er ist zu schwer und unhandlich für den schmalen Waldweg. Oben angekommen, werden nach einer kurzen Verschnaufpause und Stärkung „Ferggl“ und Heu für den Transport vorbereitet.

Teamarbeit ist das Um und Auf
Neben genügend Ausdauer und Kraft braucht es beim Beladen der „Ferggl“ vor allem die richtige Technik. Schicht für Schicht wird das Heu gestapelt und so befestigt, dass während der Abfahrt nichts verloren geht. Anschließend wird zu zweit im wahrsten Sinne des Wortes an einem Strang gezogen: Mit dem „Wisbam“, ein 1,5 Meter langer Stecken, der an der „Ferggl“ befestigt wird, fixiert man das Heu. Während einer der Männer sich auf das „Reisl“ stellt und mit einem Seil den „Wisbam“ niederzieht, muss die zweite Person bei jedem „Hei o!“-Ruf nachziehen.

So wird das Heu eng aneinandergepresst, mit weiteren Seilen fixiert und für den Transport gesichert. Dann wird die „Staggl“, ein massiver Holzstab mit einer schmiedeeisernen Spitze, durch das „Reisl“ gesteckt und zum Lenken und Bremsen der Ladung verwendet. Ist die „Ferggl“ voll beladen, beginnt der gefährliche Teil der Arbeit: die Talfahrt. Jeder Heuzieher bindet sich mit einem Seil vor die „Ferggl“ und begibt sich mit seinem „Reisl“ auf den Weg, der steil ab ins Tal führt. Mal sinkt man bis zur Hüfte in meterhohen Schnee ein, mal muss man die schwere Fracht hinter sich herziehen, mal mit aller Kraft dagegenhalten – keine einfache Arbeit, wie Eller betont. Deshalb sind eine gute Körperspannung und Ausdauer Voraussetzung, um den beladenen Schlitten unfallfrei ins Tal zu manövrieren.

Der Umwelt und dem Vieh zuliebe
Wer Andreas Eller fragt, warum er und seine Heu-Gefährten sich jedes Jahr aufs Neue dieser mühevollen Aufgabe widmen, der muss nicht lange auf seine Antwort warten: „Es ist lässig, einer sportlichen Tätigkeit in einer positiven, gleichgesinnten Gruppe nachzugehen, die gleichzeitig Mensch und Natur einen Mehrwert bringt. Vor allem das soziale Miteinander weiß ich sehr zu schätzen.“

Für die Heuzieher steht das Wohl der Tiere und der Erhalt der Almen im Vordergrund. Durch ihre Tätigkeit werden die Tiere auch im Winter mit den Kräutern von der Alm verwöhnt, woraus wiederum gesunde und hochwertige Almprodukte erzeugt werden. Zudem verhindert das Sensenmähen ein Zuwachsen der Almflächen . Durch den kurz gehaltenen Graswuchs von Mensch und Almvieh im Sommer kommt es zu weniger Lawinenabgängen im Winter

Entlohnt werden die Heuzieher aus dem Valsertal für ihre harte Arbeit mit einem zünftigen Mittagessen und einem guten Glas Wein bei Hagers Mutter. „Allein schon für die hofeigenen Köstlichkeiten wie Kitzl oder Bratl zahlen sich die Mühen aus. Und so ein Festmahl schmeckt nach vollbrachter Arbeit in der frischen Natur um einiges besser.“ Am Ende des Tages und mit vollem Magen haben die Vollblut-Heuzieher ihren Soll für diesen Winter erfüllt und freuen sich bereits auf das nächste Jahr. Auch Hagers Ziegen haben bei dieser Heu-Qualität bestimmt nichts zu meckern!

Fotos: Andreas Eller


Mehr bäuerliches Handwerk und Traditionen findet ihr hier

Geschichte und lebendiges Brauchtum rund um unsere Almen

So viel hat Almbauer Thomas zu Asten 1544 auf der Holzalm selbst erzeugt | Tirol

So viel hat Almbauer Thomas zu Asten 1544 auf der Holzalm selbst erzeugt | Tirol

Unsere Vorfahren haben mit viel Fleiß und Mühe das Almgebiet erweitert, bis es vor rund 400 Jahren jene Ausdehnung erreicht hat, die wir heute noch vorfinden. Für die bergbäuerliche Landwirtschaft […]

18. April 2024
Weiterlesen
Wie aus Almen Skihütten geworden sind

Wie aus Almen Skihütten geworden sind

Der Text stammt von Martin Achrainer vom Historischen Archiv des Österreichischen Alpenvereins. Dort wird die über 150-jährige Geschichte des Vereins erforscht. Achrainer pflegt u.a. Gründungsurkunden, Statuten, Protokolle, Briefe, Festschriften, Jahrbücher, […]

9. April 2024
Weiterlesen
Wie es Bergsteigern anno dazumal auf Sennalmen ergangen ist

Wie es Bergsteigern anno dazumal auf Sennalmen ergangen ist

Der Text stammt von Martin Achrainer vom Historischen Archiv des Österreichischen Alpenvereins. Dort wird die über 150-jährige Geschichte des Vereins erforscht. Achrainer pflegt u.a. Gründungsurkunden, Statuten, Protokolle, Briefe, Festschriften, Jahrbücher, […]

3. April 2024
Weiterlesen
Das Osterlamm als Symbol des ewig wiederkehrenden Lebens

Das Osterlamm als Symbol des ewig wiederkehrenden Lebens

Lämmer hüpfen verspielt herum, freuen sich ihres Lebens, so sehe ich es jedenfalls. Was für ein herzerfrischendes Bild. Österliche Freude unserer tierischen Mitgeschöpfe. Ich nähere mich ihnen vorsichtig und schnappe […]

31. März 2024
Weiterlesen
Das Osterlamm, der gute Hirte und der Wolf

Das Osterlamm, der gute Hirte und der Wolf

Facebook lässt mich in diesen Tagen auffällig oft wissen, dass Lämmer leben wollen, als wüsste ich das nicht. Es sei geradezu unmoralisch und verwerflich, wenn wie jetzt zu Ostern, Lämmer […]

29. März 2024
Weiterlesen
Wie Bergsteiger den Verfall der Almen im 19. Jahrhundert gesehen haben

Wie Bergsteiger den Verfall der Almen im 19. Jahrhundert gesehen haben

Der Text stammt von Martin Achrainer vom Historischen Archiv des Österreichischen Alpenvereins. Dort wird die über 150-jährige Geschichte des Vereins erforscht. Achrainer pflegt u.a. Gründungsurkunden, Statuten, Protokolle, Briefe, Festschriften, Jahrbücher, […]

26. März 2024
Weiterlesen
Osterbräuche mit Eiern, Feuer, Ratschen und Rädern

Osterbräuche mit Eiern, Feuer, Ratschen und Rädern

Mit dem Gründonnerstag endet die 40-tägige Fastenzeit. Das Hochfest der Katholischen Kirche beginnt. Die Kirchenglocken werden im übertragenen Sinn nach Rom gesandt und sind deshalb nicht zu hören. Von Gründonnerstag […]

22. März 2024
Weiterlesen
Wie der Alpenverein Wege und Markierungen im Berggebiet forciert hat

Wie der Alpenverein Wege und Markierungen im Berggebiet forciert hat

Der Text stammt von Martin Achrainer vom Historischen Archiv des Österreichischen Alpenvereins. Dort wird die über 150-jährige Geschichte des Vereins erforscht. Achrainer pflegt u.a. Gründungsurkunden, Statuten, Protokolle, Briefe, Festschriften, Jahrbücher, […]

21. März 2024
Weiterlesen
Was Almwirtschaft und Alpenverein verbindet

Was Almwirtschaft und Alpenverein verbindet

Der Text stammt von Martin Achrainer vom Historischen Archiv des Österreichischen Alpenvereins. Dort wird die über 150-jährige Geschichte des Vereins erforscht. Achrainer pflegt u.a. Gründungsurkunden, Statuten, Protokolle, Briefe, Festschriften, Jahrbücher, […]

13. März 2024
Weiterlesen
Schermer: „Almen geraten von vielen Seiten unter Druck“

Schermer: „Almen geraten von vielen Seiten unter Druck“

Der Soziologe und Professor für Agrar- und Regionalsoziologie Markus Schermer war bis zu seiner Pensionierung im Oktober 2022 stellvertretender Leiter vom interdisziplinären Forschungszentrum Berglandwirtschaft des Forschungsschwerpunktes „Alpiner Raum“ der Leopold […]

26. Februar 2024
Weiterlesen