Morgens wie abends hat es auf den Almen Österreichs vor allem eines gegeben: Mus oder Koch, wie es in einigen Regionen heißt. Einst von den Tischen verschwunden, scheint das typische Almgericht jetzt wieder in Mode zu sein – abgewandelt als hipper Frühstücksbrei. Gerade im Winter tut Wärmendes von der Alm gut. Da ist die traditionelle Brennsuppe auch nicht weit.
Während den Tieren auf der Alm den Sommer über viele verschiedene saftige Kräuter und Gräser zur Verfügung standen, hat es für die Sennerinnen, Hirtinnen und Almerinnen bis zum Beginn des letzten Jahrhunderts karge Kost gegeben. Vor allem mit einem Gericht begann der Tag wie er zu Ende ging: Mus – oder Koch, wie es in einigen Almregionen heißt. Eine große, schwere Pfanne wurde mitten auf den Tisch gestellt. Jeder nahm seinen eigenen Löffel zur Hand und langte kräftig zu – morgens wie abends.
Die Not in den bäuerlichen Bergregionen machte erfinderisch. Unter Mus versteht man gekochten Brei aus Getreide, früher war das vor allem Hafer (Haber), Buchweizen (Plenten), Gerste, Roggen, Hirse, Mais (Sterz in der Steiermark) – und nur sehr selten Weizen. In einer schweren Pfanne wird zunächst viel Butter ausgelassen und dann Mehl hinzugefügt. Die Masse wird – wie eine Art Einbrenn – am Herd so lange verrührt, bis die gewünschte Bräunung erreicht ist. Anschließend wird sie mit viel frischer Almmilch und etwas Wasser abgebunden. Etwas Salz hinzu und fertig ist das typische Almgericht.
„Mus demonstriert die Findigkeit aus wenig etwas,
und aus etwas viel zu machen.“
(aus dem Buch „Tiroler Almen“ von Eva Lechner, 1998)
Das Mus war lange Zeit, vom Mittelalter bis Mitte des 20. Jahrhunderts, vielerorts das Standardessen auf den Almen. „Brei ist die primitivste und weitverbreitetste Speise der Menschheitsgeschichte. Getreidemehl und Wasser oder Milch war die Grundnahrung des alten Europa“, heißt es in dem Aufsatz „Streifzüge durch die Tiroler Küche“ von Oliver Haid (2001).
Früher Mus heute „porridge“
Ab dem 16. Jahrhundert wurde das Mus allmählich von Knödeln und Nudeln aus der Pfanne gedrängt. Dieser Tag scheint es aber auf die Tische zurückzukehren, zumindest in abgewandelter Form.
Denn die hippen Müslivarianten aus eingeweichten Haferflocken („overnight oats“) oder gekochtem Hafer („porridge“) sind im Grunde nichts anderes: Getreidebrei wie es ihn früher auf den Almen gegeben hat. Zugegeben in abgespeckter und moderner Art mit kaum Butter, dafür viel frischem Obst, Nüssen, Honig.
1435 von Oswald von Wolkenstein besungen
Das Mus war derart allgegenwärtig auf den Almen, dass es von der Pfanne aus auch die Volkskultur bereichert hat. Niemand geringerer als der berühmte Minnesänger des Mittelalters Oswald von Wolkenstein hat 1435 das Mus, oder Mues, besungen:
„Ich mues hinfuer derwelcken,
Kauft ich mir nit ain Kue
Damit ich hab zu melken
Ain Mues des Morgens frue.“
(aus dem Aufsatz „Kleine Kulturgeschichte der Tiroler Küche von Otto Kostenzer,
aus dem Kochbuch „Tiroler Küche“ von Maria Drewes)
Die bekannten Märchensammler Gebrüder Grimm haben dem Mus ebenso ein literarisches Denkmal gesetzt. „Im Grimm’schen Märchen vom ‘Süßen Brei’ (Kinder- und Hausmärchen Nr. 103) heißt es, eine alte Frau hätte einem hungernden Kind ein Töpfchen geschenkt, das auf Wunsch Hirsebrei kochte. Damit hätte alle Not ein Ende gehabt“, schreibt Elfriede Rath in ihrem Artikel „Vom Essen und Trinken“ (1952).
Mus gegen lange Winterwochen
Der Volksbrauch in den Alpenregionen ging noch einen Schritt weiter. Mus wurde aufgestellt, um die Wettergeister zu besänftigen. „Der ,Wintin‘ hat man Mehl oder Kleie als Futter gestreut oder ihr ein Mus vors Haus gestellt; tat man es nicht, so ging der Wind noch weitere 30 Tage. Außer Milch, Mehl, Rahm, Butter und Weißbrot pflegte man auch Mus der Sonne darzubringen, vor das Fenster zu stellen, sobald sie sich nach den langen Winterwochen wieder sehen ließ“, beschreibt Franz Maier-Bruck in seinem Buch „Vom Essen auf dem Lande“ (1981) die Bräuche. Eine ganz besondere Tradition hat er in Südtiroler Tälern sowie in Osttirol aufgespürt:
„Der ,Sennpuppe‘, einem Popanz aus Stoff, Holz, Stroh, Heu, Butter, Käse oder festem Teig, strich man solange Mus ein, bis sie lebendig wurde, zu einem Ungeheuer wuchs und nur von einem siebenjährigen Stier bewältigt werden konnte, der seinerseits nur mit Milch und Mus gefüttert wurde, weiß die Sage. ,Hoanzl‘ nennt man die Figur in Rodeneck und Lüsen, ,Unze‘ im Pustertal, ,Nuinze‘ in Osttirol, ,Tschuntsch‘ und ,Toggl‘ im Sarntal.
Brennsuppe – ein weiteres Traditionsgericht von den Almen
Das Mus hat einen nahen Verwandten, der ebenfalls tagein tagaus auf den bäuerlichen Tischen gereicht wurde. Brennsuppe war ebenso fixer Bestandteil des alpinen Speiseplans. Im Grunde ist es wieder etwas Butter, die in der Pfanne geschmolzen und mit Mehl verrührt wird. Diese Einbrenn, daher auch der Name Brennsuppe, wird dann mit wenig Milch, viel Wasser und einer Prise Salz zu einer Suppe gebunden. Geriet die Brennsuppe zu dick, war ironischerweise mancherorts vom „Wassermus“ die Rede.
Etwas mehr Pepp erhielt die doch sehr einfache Suppe mit Graukäse oder dem langen gereiften, hart gewordenen Ziegerkäse. Gewürfelt bzw. verrieben geben sie der Brennsuppe einen würzigen Geschmack. Erfinderisch waren die Bewohner der Almen eben schon immer. Neugierig geworden?
Hier geht’s zu den Rezepten: