Welche Beziehung haben Sie persönlich zu unseren Almen? Ihr eigentliches Forschungsgebiet, die Gletscherzone, beginnt ja dort, wo die Almen aufhören?
Genau, ich gehe an den Almen vorüber, wenn ich zur Arbeit gehe. Schafe wie Hirten kommen auch gelegentlich in meine Höhenlage, wobei das für das Weidevieh nicht immer gut ausgeht. Die ersten Aufzeichnungen zu Gletschervorstößen beschreiben das Vorstoßen der Gletscher in die Almzone. Einige Gletscher Österreichs haben Ortsnamen, die darauf hindeuten, dass sie früher als Weiden genutzt wurden, wie etwa die Pasterze oder die Übergossene Alm. Datierungen des unter dem Gletscher noch vorhandenen Bodens deuten darauf hin, dass diese kulturhistorischen Interpretationen einen wahren Kern haben könnten, auch wenn die Übertragung von Ortsnamen im Laufe der Zeit immer wieder passiert ist.

Unsere Almen blicken auf eine mehrtausendjährige Geschichte zurück. Welche Gefahren für das Weiterbestehen dieser Tradition sehen Sie?
Die Gefahren sehe ich weniger im Klimawandel, sondern mehr im globalen Wandel, der Änderung unserer Lebensweise und unseres Wirtschaftens. Die Landwirtschaft insgesamt verliert im wahrsten Sinn des Wortes an Boden, den landwirtschaftlichen Produkten wird im Vergleich zu industriellen Produkten immer weniger Wert beigemessen und bezahlt, damit werden auch die Arbeitsplätze auf der Alm kaum mehr finanzierbar. Die Diskussion, die der Alpenforscher Bätzing angedacht hat, mit alpinen Zukunftsszenarien zwischen Wildnis und Freizeitpark, hat durch die Zunahme der Beutegreifer neue Polarisierungen erfahren. Für die Almen, als Lebens- und Wirtschaftsraum, bleibt da wenig Platz. Dabei würden die Almen und das Wirtschaften auf verschiedenen Höhenstufen besonders durch den Klimawandel eine neue Notwendigkeit erfahren – so kann man sich an die Variabilität des Klimas und der Witterung besser anpassen.
In der vorchristlichen Besiedlungsgeschichte der Alpen dominieren die Nachweise menschlicher Aktivitäten in der heutigen Almzone über die Nachweise in den damals wie heute durch Naturgefahren besonders bedrohten Talräume. Wir müssen Traditionen als gelebte Möglichkeitsräume kultureller Techniken neu begreifen, so wie auch die Erzählungen, die unser kulturelles Selbstbild prägen.
Wäre es nicht besser, gerade angesichts der Klimaproblematik, die Alpen würden wieder großflächig mit Wäldern zuwachsen?
Für wen? Ich denke, der Mensch sollte schon auch noch Platz haben in der besseren Welt. Wildnisgebiete haben spezielle Problematiken, unbewirtschaftete Wälder werden regelmäßig katastrophal zerstört, um neu zu entstehen, mit allen misslichen Folgen. Das war auch ein Grund, warum man in den USA davon abgekommen ist, die Natur in den Nationalparks völlig sich selbst zu überlassen: Große Waldbrandflächen mit Muren und Hochwässern aufgrund der fehlenden Konsolidierung entsprechen nicht unseren romantischen Vorstellungen der Natur. Das Heidiland des Kulturraums Alm wiederum wird von vielen Menschen mit einer Naturlandschaft verwechselt. Ich halte das Zuwachsen-Lassen für keine gute Möglichkeit, insbesondere wenn wir weiter in den Alpen leben wollen, dann müssen wir nämlich unsere Verbauungen unter den Almen verbessern und verbrauchen in Summe mehr Beton.
Unsere wiederkäuenden Weidetiere, allen voran unsere Kühe, werden ja aufgrund ihres Methanausstoßes nach wie vor als Klimaschädlinge bezeichnet. Aus ihrer Sicht zu Recht?
Methan ist ein sehr wirksames Treibhausgas, allerdings wird es nicht nur von Kühen, sondern auch etwa aus anderen Gärungsprozessen und dem auftauenden Permafrost freigesetzt. Soweit ich verstehe, werden nicht unbedingt die Kühe für den Klimawandel verantwortlich gemacht, sondern der exzessive Fleischkonsum. Wenn man sich die Nahrungsmittelproduktion anschaut, landet sehr viel davon im Müll – da sind sowohl die Kühe als auch das Klima die Leidtragenden.


Was passiert denn aus der Sicht der Klimaforscherin, wenn unsere Almen großflächig sozusagen an die Natur zurückgegeben werden?
Lawinen, Massenbewegungen und Muren können in einem derart geänderten System auch den heutigen Siedlungsraum erreichen.
In sehr heißen und trockenen Sommern steht weniger Weidefläche zur Verfügung, was ebenfalls Auswirkungen auf die Täler hat. Wir schränken unsere Möglichkeiten mit so einer Maßnahme selbst ein.
Können uns unsere Almen vielleicht sogar Antworten aufzeigen für die Herausforderungen des Klimawandels?
Die Almwirtschaft war und ist eine Antwort auf die Veränderlichkeit von Wetter und Klima, sie wurde erfunden, um in ‚guten und schlechten‘ Jahren das Vieh zu halten.
Warum sollte die Almwirtschaft eine Zukunft haben? Und was wären wichtige Schritte, um ihr eine Zukunft zu geben?
In meiner Forschung kommen Almen leider nicht vor, generell lassen sich aus Wissen keine Handlungsempfehlungen ableiten, weil es dazu Werte braucht, und Werte sind wichtig, aber kommen nicht aus wissenschaftlicher Forschung, sondern aus der Lebenswelt und Perspektive der Einzelnen.
Warum sollten uns die Almen und die Landwirtschaft etwas wert sein? Weil man Computer nicht essen kann und weil uns Computer nicht vor Muren schützen werden.


Welche Gruppierungen sehen Sie in der Verantwortung, wenn es um die Zukunftsfähigkeit unserer Almen geht?
In erster Linie uns alle als Konsumenten. Wir entscheiden über die Produkte, die wir kaufen, welche Wirtschaftszweige Bestand haben. Solange uns im Moment Streaming mehr wert ist als die Almbutter, tragen wir nichts zum Weiterbestand bei.
Kann (und soll) auch die Wissenschaft etwas zur Erhaltung unserer Almen beitragen?
Die Wissenschaft kann die Alm erforschen als Ort der ‚nature based solutions‘ gegen Naturgefahren und als Schatzgrube der Biodiversität und so deren Wert aufzeigen, damit uns die Almen wieder mehr wert sind.
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