Buchautor und Historiker Werner Koroschitz ist ein Urgestein, was das Kärntner Almleben anbelangt. Seit 30 Jahren verbringt er die Sommer als Hirte auf einer Alm im Mölltal. In den nächsten Monaten wird er uns von seinem Almalltag auf der Großfragant in der Goldberggruppe berichten.
Nachdem ich 2612 Kilometer auf den Spuren zweier österreichischer Sozialdemokraten durch Europa geradelt bin (Buchs – Zürich – Ulm – Regensburg – Pilsen – Brünn – Prag – Dresden – Leipzig – Koblenz – Köln), bin ich eine Woche nach meiner Rückkehr, am 24. Juni 2023, in die Alm (Großfragant) gezogen. Nach Ablauf meiner 23. Almsaison in der Großfragant beende ich von Ende September bis Ende Oktober 2023 die Spurensuche des Radprojektes in England, wohin die beiden “Roten Radler” im Jahr 1934 letztendlich emigriert sind (Köln – Aachen – Maastricht – Lüttich – Brüssel – Oostende – Dover).
Seit 30 Jahren als Hirte auf der Alm
Seit 1993 bin ich im Sommer als Hirte auf einer Alm im Kärntner Mölltal tätig. Damals unterstützten mich meine Kinder Janina (8 Jahre) und Tobias (2 Jahre) zeitweise bei der Arbeit. Ein Jahr später kam Paul dazu, der Ende Mai 1994 geboren wurde.
Dieses Jahr habe ich mein Auto verkauft, da ich es kaum benötigte. Deshalb wurde ich von Freunden bzw. Almbewirtschaftern vom Bahnhof Mallnitz abgeholt und auf die Alm gebracht. Für die nächsten drei Monate bin ich also wieder zurück ins mir vertraute Almgebiet gekehrt.
Bevor mich mein Freund Sepp auf die Alm brachte, mussten beim Almobmann (Alpherren) der Agrargemeinschaft, für die ich als Hirte tätig bin, noch diverse Hüttenschlüssel und die Meldebogen der Almrinder abgeholt werden. Heuer verbringen nur noch 39 Rinder (momentan sind es 37 Rinder, zwei Stück werden noch gebracht) und sechs Noriker-Pferde ihren Almsommer in der Großfragant. Die Stückzahl ist so gering, wie noch nie zuvor. Die schwindenden Auftriebszahlen sind ein Spiegelbild des Strukturwandels in der Landwirtschaft, der sich schon seit Jahrzehnten bemerkbar macht („Bauernsterben”).
Geringe Viehzahl im heurigen Almsommer
Aufgrund der geringen Viehzahl, konnte ich mir rasch einen Überblick verschaffen. 1993, als ich den ersten Almsommer in der Großfragant als Hirte verbrachte, hatte ich über 80 Rinder und ungefähr fünfzehn Pferde zu beaufsichtigen. Die 1990er-Jahre hatte ich in etwa immer dieselbe Stückzahl an Vieh und Pferden zu betreuen. Sie stammten ausschließlich von Anteilhaber und Anteilhaberinnen der Agrargemeinschaft. In den 2000er-Jahren ist die Stückzahl noch dieselbe geblieben. Doch das Aufnahmevieh bzw. Zinsvieh hat ständig zugenommen. Vieh wurde neben Stall oder Obervellach aus so entfernten Gebieten wie Fresach oder Maria Saal auf die Alm im Mölltal getrieben.
Heuer haben fünf heimische Anteilhaber und Anteilhaberinnen gemeinsam nur noch 19 Stück aufgetrieben. Zum Kennenlernen verteile ich auch heuer, wie jedes Jahr davor, Salz und Leck an die Rinder und Pferde. Die kommenden Wochen werden geprägt sein von Instandsetzungsarbeiten der kilometerlangen Zäune und dem Zu-Fuß-Transport meiner Habseligkeiten (Bettwäsche, Kleidung, Lebensmittel) in die Schoberhütte. Diese liegt auf circa 2.300 Metern Seehöhe.
Der Hirte folgt dem Vieh
Momentan lebe ich in der Waldhütte der Agrargemeinschaft auf 1.800 Metern Seehöhe. Das Vieh der Hochalm folgt der Vegetation und wechselt in der Almsaison viermal die Weide. Der Hirte folgt dem Vieh beim Weidewechsel.
Natürlich ist auch der Wolf ein häufiges Gesprächsthema, zumal er sich im Mölltal schon seit Längerem breit gemacht hat. In der Großfragant weiden auch Schafe, auf die es das Raubtier bekanntlich abgesehen hat. Hoffentlich bleiben wir vor seinen Attacken verschont.
Ein Vieh vermisst
Heute bin ich von meiner Viehrunde heimgekehrt. Ich kochte mir Thunfischspaghetti und brach erneut auf, da mir ein Stück Vieh fehlt. Es muss gefunden werden. Ein Unternehmen, dass auf der Waldweide besonders schwierig ist. Tags darauf hatte ich das fehlende Stück aufgespürt. Gottseidank.
In den nächsten Almmonaten wird Werner Koroschitz weiter von seinen Erlebnissen auf der Großfragant berichten. Seinen zweiten Gastbeitrag hier nachlesen, seinen dritten hier. Über sein Buch „Auf der Alm“ hier lesen.
Fotos: Werner Koroschitz
Almer und Almerinnen, Hirten und Hirtinnen, Sennerinnen und Senner erzählen aus ihrem Alltag auf unseren Almen
- Hubert Ögg ist seit seiner Kindheit mit der Alm verbunden
- Alois Marth war nach 43 Alpsommer zum ersten Mal als Schafhirte auf der Alm
- Patrick Schlatter aus Fließ erzählt im Video von seinem Almsommer auf der Alpe Zanders (Fließer Alm) im Tiroler Oberland
- die jungen Steirer Daniela Stocker und Meinhard Moosbrugger von der Lammersdorfer Alm in den Kärntner Nockbergen erzählen
- Ehepaar Göschl von der Tangernerhütte in den Kärntner Nockbergen berichten vom Almleben
- Mathias Hölzl aus dem Salzburger Pinzgau kann sich ein Leben ohne Alm nicht vorstellen
- Erna Wimmer von der Bachalm im Stubachtal im Oberpinzgau (Salzburg) kann sich nichts Schöneres als Sennerin vorstellen