Milch fließt in Österreich im Überfluss, wenn man berücksichtigt, dass wir wesentlich mehr Milch produzieren als wir selbst konsumieren. Auch auf meiner Alm und vielen anderen Almen fließt Milch, wenngleich nur ca. 1 Prozent der österreichischen Milch auf Almen gemolken wird. Da kann also von Überfluss nicht die Rede sein. Ich fühle mich trotzdem (oder gerade deswegen) im „gelobten Land“, im „Land der Verheißung“? Aber anders gefragt: Bin ich, sind wir Gott dankbar dafür? Den Bauern, den Kühen?
Seien wir ehrlich: Im Land, wo Milch und Honig fließen, ist man niemandem so wirklich dankbar dafür…
Eher im Gegenteil! Die „Milchindustrie“, die „Milchlobby“, die „Massentierhaltung“ von „Turbokühen“, wenn es nach Veganern geht auch jene von Honigbienen, stehen immer wieder in der Kritik. Berechtigte Kritik zum Teil, gewiss: Immer noch zu einseitige Zucht auf Hochleistung, damit verbunden immer noch rückgängige Nutzungsdauer sowie teils hinterfragbare Fütterungs- und Haltungsbedingungen, das von den Tierschutzorganisationen immer wieder thematisierte Problem „wohin mit den männlichen Kälbern?“ – um nur die bekanntesten Kritikpunkte zu nennen. Da sind alle Beteiligten gefordert und ich weiß, dass es hierfür ein Problembewusstsein und auch bereits Anstrengungen in der Branche gibt, die Probleme anzugehen. Es bräuchte ein Vorbild für die künftigen Zuchtziele.
Die Alm wäre so ein Vorbild…
Hier, wo sich die Hochleistungskuh selbst ad absurdum führt. Wo die sogenannten Fitness- und Gesundheitswerte, das Tierwohl mindestens so wichtig sind wie die reine Milchleistung. Es ist erwiesen, dass die Alm den Kühen guttut. Die Höhenluft, die UV-Strahlung, die viele Bewegung tut gerade den meist trächtigen Kühen und ihren heranwachsenden Kälbern gut. Gealpte Kühe leben im Schnitt länger als ihre intensiver gehaltenen Kolleginnen im Flachland.
Dabei mache ich mir nichts vor. Es gibt kaum Anzeichen dafür, dass diese Botschaft von der Alm im Tal vernommen wird, dass sich da etwas in diese Richtung bewegen würde. Die Mühlen der Veränderung lang etablierter Praktiken mahlen freilich, wie überall sonst, eher langsam und sie mahlen, wenn sie es tun, oft genug gegen den mächtigen Strom ökonomischer Überlegungen. Ihr Wasser müssen sie sich schon von woanders herleiten.
Apropos „woanders“: Liegt nicht das Ur-Problem, die Mutter aller Probleme …
die wir mit der Milch haben und die die Milchbranche (als Teil der ganzen Lebensmittelbranche) mit uns kritischen Konsumenten hat woanders? Nämlich darin, dass uns die Bedeutung so gar nicht mehr fühlbar ist, die im zitierten Bibelwort einer reichlich fließenden Milch zukommt? Dass es nämlich an sich gut sei, dass Milch ausreichend fließt, dass es ein Segen sei, ein Zeichen dafür, dass es Gott (für Atheisten als Vorschlag: die von Menschenhand kultivierte Natur) gut mit uns meint.
Milch, Butter, Käse, Joghurt, Topfen usw. usw. all diese Milchprodukte und dass sie uns das ganze Jahr über, in Top-Qualität und zu an sich unfassbar günstigen Preisen zur Verfügung stehen, erzeugt in uns keine Dankbarkeit, erzeugt nicht das Gefühl in einem „gelobten Land“ zu wohnen. Selbstverständlich ist das alles keines Gedankens würdig. Höchstens eines des kritischen Überdrusses, der aus dem Überfluss heraus geboren, diese Segnungen in Bausch und Bogen in Frage stellt. Dann wird aus dem gelobten Land, wo Milch und Honig fließen, schnell ein Land und eine Landwirtschaft, wo Tiere gequält werden und aus der reichlich fließenden Milch wird kein Segenszuspruch eines gütigen Gottes sondern fast schon so etwas wie Gift…
Für mich ist und bleibt Milch (und Butter und Käse usw.) eines der wunderbarsten, nahrhaftesten und wohlschmeckendsten Geschenke Gottes/der Natur an uns.
Wer sich von dieser Seite her und gleichsam in Rückbesinnung auf das Bibelwort der Milch nähert, dem wird die Milch wertvoll. Und alle Fragen an die Milch, wie sie gewonnen wird, wo sie herkommt, wer sie wie wozu weiterverarbeitet usw. gewinnen an Bedeutung. Und damit gewinnt der Bauer, der Kühe melkt, an Bedeutung, die Kuh selbst, dieses so großartige und großzügige Geschöpf wird erkannt als das, was sie ist – wertvoll. Und jene kritischen Fragen, die sich an die Milch knüpfen, bekommen für den, der sich von dieser Seite her annähert, einen ganz anderen Spin. Einen, der sich nach oben dreht nämlich anstatt wie so häufig heute und scheinbar unaufhaltsam nach unten. Davon bin ich zu tiefst überzeugt.
Hier gibt’s ein paar leckere Alm-Rezepte mit Almkäse und -milch:
- Topfenkuchen mit Moosberen aus dem Chiemgau
- Buchteln mit Kanarimilch
- Kräftiger Heumilch-Käsestrudel
- Tiroler Zerggln mit Heumilch-Produkten
- Vorarlberger Käsegrumpara
Weitere Beiträge zum Thema Milchprokduktion gibt’s zum Weiterlesen hier:
- Die Tradition vom Sura Kees auf der Alpe Garnera
- Arbeiten auf einer Milchkuhalm
- Österreichische Heumilch ist landwirtschaftliches Weltkulturerbe
- Das Ende der Sennalmen: Ein Beispiel aus der Steiermark
- Gailtaler Käse von der Watschiger Alm
Alle weiteren Almpredigten von unserem Almfuchs gibt es hier:
- Predigt #1: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen
- Predigt #2: Ich bin der gute Hirte
- Predigt #3: Haustierhalter sind bei Gott nicht moralisch besser als Nutztierhalter
- Predigt #4: Es gibt eine Zeit fürs Weinen und eine Zeit fürs Lachen
- Predigt #5: Lasset die Kinder zu mir kommen