Theresa, du bist auf der Alm aufgewachsen und heute beschäftigt dich die Alm in deiner Arbeit als universitäre Forscherin. Inwiefern?
Ich komme selbst aus der Landwirtschaft und durfte viele Sommer auf der Alm verbringen. Als Lektorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am MCI Tourismus liegen meine Forschungsschwerpunkte in den Bereichen Tourismus und Landwirtschaft sowie Tourismus und Raumnutzung – dabei spielen Almen eine zentrale Rolle.
Die Almwirtschaft bildet die Grundlage für den alpinen Sommer- wie Wintertourismus und ebenso für die Freizeitnutzung. 70 % der Einheimischen gehen mindestens einmal im Monat wandern, 25 % sogar wöchentlich. Die Gäste kommen wegen der Landschaft – sie wollen sie erleben, genießen, Österreichweit gehen 68 % im Sommer wandern. Auch im Winter spielt die Alm eine wichtige Rolle für die Erholung im Freien.
Und das machen sie vorzugsweise auf Almgebieten und Almwegen. Die Frage wäre jetzt, ob das den Meisten bewusst ist?
Die klare Antwort lautet: leider nein. Fragt man Gäste, aber auch Einheimische, was sie mit „Alm“ verbinden, denken die meisten an eine gastronomisch bewirtschaftete Hütte – möglichst urig –, vielleicht noch an Kühe. Dass die Landschaft, wie wir sie gerade in den touristisch intensiven Alpinen Gebieten kennen, ganz wesentlich durch Almbewirtschaftung geprägt ist, ist kaum jemandem bewusst. Viele nehmen diese Kulturlandschaft als selbstverständlich gegeben, als „Natur“ hin.
Ich selbst bin, wie schon erwähnt, auf einer Alm aufgewachsen. Diese Erfahrung fehlt den meisten. Dennoch habe auch ich den hohen Stellenwert der Almen für den Tourismus erst durch meine Forschung und auch Forschungsreisen in andere Berggebiete – ohne Almen – erkannt.
Was macht unsere Almen so attraktiv für die Tourismus- und Freizeitwirtschaft?
In der Forschung sprechen wir von einem „Setting“. Menschen prägen sich Landschaften als stereotype, statische Bilder ein. Man kann das an sich selbst testen, wenn man an ein bestimmtes Urlaubsland denkt – es ist eigentlich immer ein idealtypisches Bild. Für den alpinen Raum ist es das Setting einer Alm: eine Hütte in offener Landschaft, umgeben von Weiden, mit schroffen Bergen im Hintergrund und Tieren in der Nähe. Für viele Gäste ist es seit Beginn des alpinen Tourismus das Inbild einer alpinen Idylle.
Diese halboffene Kulturlandschaft mit ihrer Vielfalt an Pflanzen, bunten Blumen, Felsen, Latschen und klaren Wegeverläufen ist zugleich spannend und vertraut. Sie vereint Natürlichkeit, großzügige Weite und dennoch Geborgenheit – ideale Voraussetzungen für Erholung.
Aus Sicht der Tourismusbranche ist eine einprägsame, attraktive und charakteristische Landschaft wesentlich – nur wer sich auf begehrenswerte Weise vom Wettbewerb unterscheiden kann und wer wiedererkannt wird, ist erfolgreich im Wettbewerb der Reiseziele.
Welche Rolle spielen denn in der Wahrnehmung der Gäste in dem „Setting“ unsere Almtiere? Ich denke da auch an Schlagworte wie „Kuhattacken“ oder an Mutterkuherden, die vielleicht eine unangenehme Begegnung hervorrufen, wenn ich direkt reinmarschiere „am besten“ noch mit Hund?
Nur etwa 3 % der Bevölkerung haben heute noch einen direkten Bezug zur Landwirtschaft. Damit geht viel Wissen verloren – auch über die Zusammenhänge auf der Alm und den Umgang mit Weidetieren.
Almen sind keine unberührte Natur, sondern gepflegte Kulturlandschaften, die über Jahrhunderte entstanden sind. Sie erhalten ihr heutiges Aussehen nur durch kontinuierliche Bewirtschaftung. Die Beweidung hat dabei nicht nur landschaftsprägende Wirkung, sondern auch positive Effekte auf Bodenqualität, Artenvielfalt, Insekten- und Vogelbestände.
Was das Verhalten der Gäste betrifft, wären neue Erhebungen sinnvoll – insbesondere einige Jahre nach der medial stark präsenten Kuhattacke 2014 und den daraufhin gesetzten Maßnahmen zur Nutzeraufklärung.
Laut meinen Studien beobachten Landwirtinnen und Landwirte nach wie vor unvorsichtiges Verhalten im Umgang mit Weidevieh: Tiere werden gefüttert, gestreichelt oder es werden Selfies mit Kühen gemacht. Gleichzeitig gibt es aber auch besorgte Nachfragen bei Tourismusverbänden, etwa ob Hunde auf dem Berg mitgeführt werden dürfen.
Man könnte sagen, unsere Almtiere schaffen und erhalten das alles. Wäre es nicht möglich, sie irgendwie zu ersetzen?
Theoretisch ja – praktisch nein. Je nachdem, was an dem „Setting“, der Atmosphäre und der Biodiversität man erhalten will: Es wäre mit einem enormen personellen und maschinellen Aufwand verbunden, alleine die Offenhaltung der Landschaft künstlich zu ersetzen – ganz abgesehen davon, dass man dann auch keine landwirtschaftlichen Produkte mehr erhält.
Ein Beispiel aus dem Wintertourismus zeigt das gut: Rund 50–60 % der Pisten in Tirol liegen auf Almflächen, ein Großteil der übrigen im bewirtschafteten Berggebiet. Auf beweideten Flächen reichen 20–30 cm Schnee, um Pisten zu präparieren. Ohne Beweidung braucht es teils einen Meter Schnee und vorher maschinelles Mulchen. In Nordamerika beispielsweise, wo es keine Almwirtschaft gibt, sieht man im Sommer auf den Pisten starke Erosionsspuren, Vernarbungen durch mechanische Schäden, aber auch Verdichtung des Bodens sowie Verbuschung – ein Bild, das wir hier glücklicherweise nicht kennen. Die landwirtschaftliche Nutzung reguliert die touristische und Freizeitnutzung. Die Seilbahnbetriebe müssen fast selbstverständlich auf die Beweidung im Sommer Rücksicht nehmen und führen entsprechende Maßnahmen zum Schutz des Bodens und der Biodiversität durch.
Durch die noch flächendeckende Almbewirtschaftung mit Tieren ergibt sich auch ein riesiges Erholungsgebiet. Als Einheimischer geht man einfach vor die Tür und hat kostenlos ein wunderschönes Wandergebiet vor sich. Das ist keine Selbstverständlichkeit.
Ohne flächendeckende Almbewirtschaftung durch die Landwirtschaft gäbe es wohl nur noch punktuell erschlossene Freizeitangebote mit künstlicher Infrastruktur.
Also ganz anders als bei uns auf der Alm, wo der Gast Bewegungsfreiheit und Sicherheitsgefühl so sehr schätzt. Weil das so attraktiv ist, kommen viele. Zu viele? Gibt mittlerweile „Overtourism“ auf unseren Almen, oder siehst du die Gefahr dafür?
Die Alm spielt im Zusammenhang mit Overtourism tatsächlich eine große Rolle – aber vor allem als Puffer. Beispielsweise in Tirol, Österreichs nächtigungsstärkstem Bundesland, gibt es über 22.000 Kilometer markierte Wanderwege und mehr als 6.600 Kilometer Forst- und Güterwege, die auch für Radfahrende genutzt werden. Das ist eine enorme Fläche, die durch Bewirtschaftung erst zugänglich bleibt.
Diese Weitläufigkeit ermöglicht eine gute Verteilung. Jede:r Einheimische kann einen Platz finden, den man auch an schönen Sonntagen fast für sich alleine hat.
„Overtourism“, im Sinne gefühlt zu vieler Menschen an einem Ort, gibt es an einzelnen Hotspots – bei besonders beliebten und durch soziale Medien bekannten Attraktionen. Kritisch wird es dann, wenn das Erlebnis für Gäste leidet, Einheimische sich unwohl fühlen oder natürlich die Natur Schaden nimmt.
Nach meiner persönlichen Wahrnehmung wandern wir bereits knapp an der Grenze entlang. Wie verhindern wir, dass die Grenze überschritten wird?
Es gibt natürlich bereits Konzepte – etwa Zugangsbeschränkungen oder Parkplatzregelungen – um besonders stark frequentierte Hotspots zu entlasten. Seilbahnen und andere Sommerinfrastruktur haben eine lenkende Wirkung.
Grundsätzlich würde ich aber sagen: Für die Hauptaktivitäten im Sommer, also Wandern und Biken, haben wir derzeit noch keinen flächendeckenden Overtourismus. Das liegt vor allem an der großen Fläche, die durch die landwirtschaftliche Nutzung zur Verfügung steht.
Gerade deshalb ist der Erhalt dieser Flächen essenziell. Es braucht aber viel Respekt für die Landwirtschaft – denn ihre Bewirtschaftung muss auch in der Wahrnehmung der Nutzer:innen und touristischen Anbieter:innen oberste Priorität haben.
Man muss sich bewusst sein: Ich darf diese Wege nutzen – zum Wandern oder Radfahren – obwohl es landwirtschaftlich genutzte Flächen sind. Und dem muss ich mit entsprechender Rücksicht begegnen.
An diesem Bewusstsein und auch an einer entsprechenden Wertschätzung muss kontinuierlich gearbeitet werden. Es ist ein zentraler Schlüssel für das langfristige Miteinander von Tourismus, Freizeit und Landwirtschaft.
Gäste werden in der Regel schon vom Beherbergungsbetrieb recht gut instruiert, wie sie sich zu verhalten haben. So mancher Einheimische aber führt sich auf der Alm auf als wäre sie sein Eigentum. Aus deiner Erfahrung gesprochen: Was geht denn gar nicht auf der Alm?
Es stimmt, Gäste lassen sich vergleichsweise gut erreichen – etwa überTourismusverbände und deren gezielte Informationsmaßnahmen. Vor allem in größeren Beherbergungsbetrieben, in dem auch das Personal nicht mit der lokalen Landwirtschaft vertraut ist, sehe ich aber noch keine ausreichende Aufklärung. Aber zu den Einheimischen – auch hier berichten die Landwirt:innen immer wieder von problematischem Verhalten. Ein Beispiel: Eine Radfahrerin stellt sich auf einer Almstraße einem Bauern bewusst in den Weg, der gerade zu einer kalbenden Kuh muss. Sie fragt ihn, was er mit dem Traktor an einem Sonntag auf einem Bikeweg zu suchen habe.
Das ist nicht nur respektlos, sondern potenziell gefährlich. Diese Wege gehören den Bäuerinnen und Bauern, sie stellen sie freiwillig zur Verfügung.
Konflikte und gefährliche Situationen gibt es nach Berichten der Landwirtinnen und Landwirte auch häufig, weil Verbotsschilder, etwa für Holzarbeiten, ignoriert werden oder mit Downhillern, die die Alm vor allem als Sportgelände wahrnehmen, Kühe erschrecken oder sensible Flächen beschädigen.
Also ja, gerade auch bei Einheimischen, welche den Alltagsraum Alm als selbstverständlich betrachten, braucht es mehr Bewusstseinsbildung: Die Alm ist ein ganzheitlicher Lebens- und Wirtschaftsraum – kein Freizeitpark.
Ich habe gerade bei meiner Tochter gesehen, wenn sie mich auf der Alm besucht hat, wie sehr sie von den Kühen und Kälbern und Schafen fasziniert war. Wenn man das den Kindern bereits irgendwie nahebringt, ist da viel Verständnis da.
Absolut – vom Almleben und den Tieren geht eine große Faszination aus. Auch die Tourismusverbände berichten von starkem Interesse am Thema Alm. Gleichzeitig erzählen viele Landwirtinnen und Landwirte von sehr positiven, wertschätzenden Erfahrungen mit den Gästen, wenn sich die Gelegenheit ergibt, ihnen direkt etwas über die Almwirtschaft und ihre Arbeit zu vermitteln. Themen wie Tierwohl, Regionalität und nachhaltige Bewirtschaftung stoßen bei den Gästen auf großes Interesse und werden als Teil eines authentischen Urlaubserlebnisses wahrgenommen.
Die Resonanz, welche die Almbewirtschaftung und die alpine Landwirtschaft insgesamt bewirken, kann, wenn sie richtig erkannt wird, noch wesentlich zu einer wünschenswerten Tourismusentwicklung beitragen. Man spricht auch von so genannter „Nettopositivität“ – Tourismus soll nicht nur schadensbegrenzend gestaltet werden, sondern bereichernd für alle Beteiligten sein. Almen sind Teil einer Natur- und Klimaschützenden Landwirtschaft, sie schaffen Nähe zur lokalen Kultur, vermitteln regionale Identität und fördern den Dialog zwischen Gästen und Bewirtschaftenden. Ihre touristische Nutzung kann und sollte zudem einen Beitrag zu ihrem Erhalt und zur regionalen Wertschöpfung leisten.
Vielen herzlichen Dank für das Gespräch und die wertvollen Einblicke in deine Forschungsergebnisse!
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