Am Samstag, dem 9. September 2023, fand der traditionelle Almabtrieb von der Fließer Gemeindealm Gogles statt. Schluss- und Höhepunkt einer jeden Almsaison. Nachdem der Sommer unfallfrei verlaufen ist, durften Kühe und Alm-Team in aller Pracht ins Dorf einziehen und gebührend gefeiert werden. Unser Almfuchs war dabei und schwer beeindruckt.
Almabtrieb! Die Kühe kommen heim von der Alm. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, dann fallen mir nicht viele Ereignisse ein, die mich, alljährlich wiederkehrend, so sehr in freudige Aufregung versetzt, die mich dermaßen begeistert hätten.
Sobald ich die weithin hallenden, gewaltigen Kuhglocken Sturm läuten hörte, war kein Halten für mich. Auf, und mit pochendem Herzen den Kühen entgegen, hieß es dann. Und wer von uns Kindern ein Büschel von den kunstvoll geflochtenen Krepppapierkreationen erhaschen konnte, mit denen die Kühe geschmückt waren, der schätzte sich glücklich. Einmal wurde ich für meinen Einsatz das ganze Jahr über als eifriger „Knecht“ beim Nachbarbauern, dem Unterrainer, besonders ausgezeichnet und durfte eine dieser herrlichen Kronen mit nach Hause nehmen. Ich verging vor Stolz und ein Jahr lag hing die Krone über meinem Bett.
Jung und Alt beim Almabtrieb von der Gogles Alm
Heute beim Almabtrieb von Gogles hoch über Fließ im Tiroler Oberland kommen mir diese alten Bilder und Gedanken in den Sinn, ins Gemüt. Wenn ich den beiden Buben von Hirt Michael Pinzger, Julian (11) und Fabian (7), zuschaue, wie sie mit Feuereifer und großem Sachverstand bereits und vor allem mit einer tiefen Vertrautheit den Kühen gegenüber, bei der Sache sind, dann vergesse ich für einmal die Nachwuchssorgen, mit denen so viele unserer Almen konfrontiert sind. Da wachsen zwei heran, denke ich mir, die das Almfieber fest im Griff hat – das ist schön zu sehen.
Freilich, von nix kommt nix. Das gilt auch für Julian und Fabian. Michael und Petra Pinzger, die Eltern der Buben, sind ihrerseits der Alpe verfallen. Petra verrät mir, dass sie den ganzen Sommer über den Buben nicht mit Schwimmbad oder ähnlichen Vergnügungen kommen brauche – Alp, Alp, Alp, heiße es nur. Nur nach oben ziehe es sie, zum Papa rauf und seinen Kühen und zum ganzen Team um Hirt Michael und Senner Ewald Jäger. Seit 13 Jahren ein Traumteam auf Gogles. Ich würde so mancher Alm ein gleiches wünschen!
Die schönsten Bilder des Almabtriebes findest du in diesem Beitrag hier.
Große Herzlichkeit bei der Almgemeinschaft
Das Verhältnis dieser Almgemeinschaft untereinander ist geprägt von großer Herzlichkeit. Alle haben sie offenbar neben dem täglichen Alp-Ernst auch Zeit für Ausgelassenes für erfrischendes, gegenseitiges Sich-Aufziehen zum Beispiel.
Heute aber ziehen wir nach unten ins Tal, es geht runter von der Alpe und dieser Abzug trägt ein traditionelles Gepräge. Wir, das heißt ein schöner bunter Tross mit Alp- und Bergmeister, Senner, Hirten und Hirtinnen, Beihirten und Nachwuchs-Hirten und -Hirtinnen. Von Station zu Station – zunächst den Berg hinab zum Rastplatz und dann ins Dorf hinein – wird er größer und bunter. Vom Kleinkind bis zu Oma und Opa – alle sind sie dabei, wenn die Kühe wieder heimkommen.
So verläuft der Almabtrieb
Auf 8 Uhr am Samstagmorgen hat mich Reinhold Jäger, der langjährige Alpmeister der Fließer Gemeindealpen, wovon Gogles eine ist, von sich zuhause schon mit hochgenommen. Reinhold, ein Alpkenner, wie ich wenige kenne, der uns schon wiederholt für Videos als Interviewpartner zur Verfügung gestanden ist, wird mit seinem Verpflegungsfahrzeug den langen Zug begleiten und an neuralgischen Stellen, wie Weiderosten und anderen potentiell gefährlichen Stellen, die Treibarbeit koordinieren.
Und am Ende des Tages wird Reinhold eine seiner berühmten Grundsatzreden am Hauptplatz von Fließ halten, damit kein Mensch auf die Idee kommt, die Bedeutung der Alpe in ihren vielfältigen Aspekten fürs ganze Dorf zu unterschätzen. Ein begnadeter Redner, der Reinhold.
Ewald Jäger ist Senner auf der Gogles Alm
Das liegt offenbar ein wenig in der Familie. Denn sein jüngerer Bruder Ewald, als Senner zusammen mit Hirt Michael, hauptverantwortlich für die Geschicke der Alpe Gogles erweist sich im Interview ebenfalls als nicht auf den Mund gefallen. Und als ein mutiger Mann, wie mir Denise, seine Frau, beim Runtergehen erzählt. Vor zwei Jahren nämlich hat Ewald ausgerechnet beim Almabtrieb vor dem ganzen Dorf das Mikrofon ergriffen und ihr coram publico ohne jede Vorwarnung einen Heiratsantrag gemacht.
Zurück zum Almabtrieb 2023: Um halb 9 sind wir auf Gogles gestartet. Ohne jede Eile geht es nach unten zuerst auf der Alm, dann auf der asphaltierten Straße runter Richtung Fließ. Gute zwei Stunden später trifft der Tross auf einem wunderschönen, kleinen Anger ein, wo die Kühe nochmal rasten und fressen können, bevor einigen von ihnen hier schon erste kleine Kränze umgebunden und großen Schellen bzw. Glocken umgehängt werden. Viele Hände packen hier mit an. Ohne jeden Stress geht das über die Bühne.
Tiefe Verbundenheit von Almpersonal und Weidevieh
Auch wir von der Treibermann- und frauschaft dürfen uns stärken und hier spüre ich wieder die tiefe Verbundenheit dieser Älpler untereinander und mit ihren Kühen. Ich habe das selten noch so gesehen. Es geht mir unter die Haut, mit welcher Zärtlichkeit sich Ewald von einer seiner Lieblingskühe verabschiedet.
Unter die Haut geht mir dann auch der feierliche Einzug ins Dorf, nachdem an einer letzten Station die besonders ausgezeichneten Kühe noch mit wahren Kunstwerken an Geflochtenem, den sogenannten „Stafeln“, bekränzt worden sind. Auch die Treibermann- und -frauschaft putzt sich hier heraus, man will ja nicht hinter den Kühen zurückstehen.
Angeführt von einer berittenen Vorhut, heuer waren auch ein paar Pferde zu Gast auf der Gogles Alm, unter dem Beifall der Fließer, zieht der wunderschöne Zug bis zum Dorfplatz vor der Kirche, wo auch schon alle Besitzer und Besitzerinnen warten.
Dank ergeht ans Almpersonal
Bürgermeister Alexander Jäger und Bergmeister Albert Erhart bedanken sich in ihren Ansprachen beim ganzen Team. Reinhold Jäger zündet sein bereits erwähntes, rhetorisches Feuerwerk. Die Staffel-Kühe werden von Senner Ewald, Hirt Michael, Beisennerin Marina, ihrem Freund, dem Beihirten Peter, Junghirt Julian und „Noch-Jüngerer-Hirt“ Fabian zusammen mit den jeweiligen Besitzern und Besitzerinnen einzeln präsentiert und geehrt. Damit endet der offizielle Teil der Feierlichkeiten.
Es ist mir ein echtes Anliegen mich bei allen von Herzen zu bedanken, die mir beim Almabtrieb von Gogles so herzlich und offen begegnet sind. Außerdem gebührt all jenen größter Dank und Respekt, die im ganzen Land den Sommer über tagtäglich mit viel Leidenschaft und Herzblut die Almen und Alpen bewirtschaftet haben. Nur durch ihre Arbeit und die der fleißig grasenden Weidetiere kann diese seit Jahrhunderten gewachsene Kulturlandschaft offen, am Leben gehalten werden. Zum Ende der Almsaison stellt sich bei mir immer größte Dankbarkeit ein.
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